Achtung Terrorgefahr

ich musste also 36 jahre alt werden, um zu erfahren, dass ich und chayim eine potentielle gefahr für deutschland darstellen und daher durch einen dahergelaufene glatze belästigt werden dürfen.

okay, der reihe nach. gestern waren wir in leipzig auf der buchmesse und eigentlich sollte der artikel heute von unseren erlebnissen und begegnungen dort berichten. stattdessen wird dieser kleine eintrag nun eine art fortsetzung zu meinem kommentar, den ich zu meinem posting “You don’t look Jewish” veröffentlicht hatte. dort ist zu lesen, dass muslime sicher des öfteren als potentielle terroristen abgestempelt werden und entsprechend mit den daraus resultierenden anfeinungen zu kämpfen haben und sicher einige meiner leserInnen dies bestätigen können.

für mich ist diese erfahrung auch nicht ganz neu. mein nicht ganz so arisches aussehen (zumindest nach einer völkisch-deutschen interpretation) hat mir schon das eine oder andere mal zusätzliche passkontrollen beschert – insbesondere auf meinen fahrten nach weiden (da man sichwährend der zugfahrt innerhalb der 30 km zone zu einer eu-binnen-grenze befindet, dürfen die grenzschützer mal staatlich sanktionierte rassisten sein), aber größere anfeindungen oder belästigungen sind mir zum glück erspart geblieben.

gestern befanden wir uns im letzten vernünftigen ice von leipzig nach berlin. an dem tisch, den wir reserviert hatten, leiß sich auch ein deutlich angetrunkener mann mit wenig haaren inbomberjacke nieder. da es keine seltenheit ist, dass in nachtzügen (vor allem in ostdeutschland – sorry, aber erfahrung)  betrunkene einsteigen und so wie auch er, sofort eine weitere flasche bier öffnen und nachgießen, haben wir das subjekt nicht weiter zur kenntnis genommen. nun fing es, das subjekt, aber an, uns anzustarren, vor sich hinzubrabbeln und mit der flasche an zu spielen. dabei wurde er leider recht aufdringlich, so dass ein ignorieren nicht mehr möglich war.

als er dann zum handy griff und “verstärkung” für berlin-südkreuz rief und dabei auch von uns sprach, war es tatsächlich nicht mehr angenehm für uns. als der schaffner kam, ergriff chayim die chance um aufzustehen (der mann saß ihm zuvor im weg) und wechselte den wagen. der mann folgte ihm zunächst, und machte mit der hand andeutungen, dass er ihn erschießen würde. die glatze verschwand dann aber in eine toilette, so dass auch ich vorbei konnte. wir sind dann direkt zum zugschaffner gegangen und haben ihm von dem vorfall berichtet. dieser hat dann mit einem kollegen den mann zur rede gestellt.

er musste sich ausweisen und erklärte, dass nicht wir uns von ihm bedroht fühlen sollten und er uns ja auch verbal nicht angegriffen hätte, sondern wir eine bedrohung für ihn gewesen sein. wir seien doch sicher muslime und nach dem amoklauf und den ganzen anderen anschlägen seien wir eine echte bedrohung. zudem berichtete er, dass er uns fotographiert hätte (mit dem handy) und unser bild zum abgleich mit einer terrordatei an einen kollegen, der bei der polizei sei, geschickt hätte.

michal, die ebenfalls mit uns im zug war und das ganze beobachten konnte, meinte  anschließend, dass wahrscheinlich die geschichte von ihm nicht stimmen dürfte und sein ganzes vorgehen nur dem zweck gedient hat, uns zu verängstigen, und ganz ehrlich, er hat es in diesem augenblick auch geschafft und das gefühl der bedrohung war real. und woran soll man erkennen, dass es nur “ein verängstigen” ist und nicht wirklich an der nächsten station weitere nazis einsteigen, oder dass er in deinem suff einem eine bierflasche über den kopf zieht, weil er meint, einen terroristen ausschalten zu müssen.

und was ist/kann die konsequenz sein? für uns? für die gesellschaft? was kann man jugendlichen erklären, die ebenfalls belästigt und/oder bedroht werden? gestern waren wir zu zweit und es waren viele menschen im zug, die schaffner haben uns ernst genommen und sind der sache nach gegangen, aber was ist das nächste mal? wie geht ihr damit um?

eines hat sich deutlich gezeigt für mich: vorurteile in deutschland werden immer absurder und vor allem immer gefährlicher. es bleibt nicht mehr nur einfach bei phantasien im kopf einiger kranker menschen, sie werden verbalisiert und der schritt bis zur gewalttat ist nur ein kleiner. betroffen sind davon muslime und juden in gleichem maße.

8 Comments

  1. Stefan S.

    Das ist wirklich surreal und zeugt von dem konfusen Weltbild, dass sich in einigen Köpfen entwickeln kann. Das dies nicht nur eine Gefahr für “unschuldige” (i.S.v. der verschwindend geringste Teil von Arabern oder gar arabisch aussehenden Leuten sind Terroristen) darstellen dürfte sieht man an dem Vorfall. Selbst der Amok-Läufer von Winnenden sah ja nicht wie der typische Terrorist aus, dies als Argument heranzuziehen, um euch zu verdächtigen, hat schon was.
    So etwas ist das Resultat von angstschürender Berichterstattung gepaart mit mangelnder Aufklärung. Da Neonazis/Rechtsradikale etc. in den allermeisten Fällen ja auch per se Antisemiten sind, wäre er mit Sicherheit zunächst verdutzt gewesen, wenn er erfahren hätte, dass du/ihr jüdisch bist/seid. Nun ja, seine Konsequenz wäre dann leider gewesen, sein antisemitisches Repertoire aufzufahren. Man sieht, diese Leute achten nur auf das Äußere. Es ist im Grunde egal, ob du aussiehst wie ein Punk, Emo, Jude, Muslim, Student oder im Anzug herumläufst. Solange du nicht “national” oder “deutsch” genug aussiehst, erfüllst du deren Feindbild. Gerade deshalb gibt es ja Erkennungsmarken innerhalb dieses Milieus.
    Aber die Hilfsbereitschaft der Schaffner lässt ja hoffen, es gibt auch Fälle, in denen eine solche Zivilcourage nicht vorhanden ist (so würde ich dies in eurer Situation mal bezeichnen).

  2. peet

    Unabhängig von Emotionen, die dein Text auslöst, würde mich interessieren, wie Schaffner und Fahrgäste reagierten, was wurde von diesen tatsächlich gesagt und getan? Danke!

  3. Lior

    Diese Begegnung ist äußerst beängstigend, ich kann dieses vollkommen nachvollziehen.
    Auch mir ist in der letzten Woche etwas ähnliches passiert.
    Ich saß im Zug als eine Gruppe von Moslems (ich möchte hier nicht spekulieren, welche Nationalität sie hatten) herein kam und sich hinter michsetzte . Nach kurzer Zeit begannen sie laut Musik auf ihren Handys zu spielen. Ich habe nur Teile verstehen können, aber dazu gehörte “Tötet alle Judenschweine”.
    Als ich dann im Begriff war auszusteigen, rief der eine den anderen zu: “Der Jude steigt aus!”
    Auf dieses werden sie gekommen sein, da ich eine Kippa trug.

    Weder zu diesem letzten Ausruf, noch zu der lauten Handymusik hat sich jemand geäußert, auch der Schaffner nicht.
    Man konnte zwar sehen, dass meine Mitreisenden sich belästigt fühlten, aber sie trauten sich trotzdem nichts zu sagen.

    Ich bin immer noch sprach- und ratlos was diese Situation betrifft. Beunruhigender finde ich es jedoch, dass es anscheinend immer mehr von Vofällen gibt, in denen solche Vorurteile in Bezug auf jegliche Religion/Nationalität/Sexualität/usw. zum Grund für Beleidigungen werden und dass diese Menschen auch oft vor Handgreiflichkeiten und physischer Gewalt nicht zurückschrecken.

  4. slata goldie

    adi,
    leider sind solche anfeindungen nicht wirklich selten. mir ist es auch schon häufig genug in den regionalbahnen in mecklenburg-vorpommern passiert. dort sollte ich mich rechtfertigen für die politik israels, für die sogenannte “holocaustindustrie” usw.
    einfach absurd. zum glück haben bisher immer schaffner die lage regeln können. dafür bin ich denen auch sehr dankbar.
    ich frage mich aber unter solchen erlebnissen auch des öfteren, warum man das erleben muss?!
    sind juden und muslime nicht auch teil dieser gesellschaft?

  5. Dieter

    Wichtig ist doch, dass wir diesen Typen Paroli bieten.
    Wir sollten nicht den Politikern dieses Feld überlassen, sondern selber aktiv gegen die Rechten auftreten, z.B. in Internetforen oder mit Leserbriefen in Zeitungen. (Ich bin weder Jude noch Moslem oder politisch links)

  6. serdargunes

    Ein Jude und ein Araber in der Metro, umzingelt von Glatzen:

    http://www.youtube.com/watch?v=F35GJx92GLQ

    Serdar

  7. Adi

    Unabhängig von Emotionen, die dein Text auslöst, würde mich interessieren, wie Schaffner und Fahrgäste reagierten, was wurde von diesen tatsächlich gesagt und getan? Danke!

    @peet

    die schaffner waren vorbildlich und haben den herren sofort angesprochen und deutlich gemacht, dass in ihrem zug soetwas nicht geht. die anderen fahrgäste haben nicht reagiert.

  8. Michael Blume

    Ein sehr bedrückender Bericht, Adi! Und er zeigt wunderbar, dass Minderheiten (und wir werden ein Land, das aus vielen Minderheiten besteht) eines nicht tun sollten: Sich gegeneinander ausspielen lassen! Die Vorurteile, Verschwörungstheorien und Aggressionen gegen “die” Muslime, Juden, Araber, Israelis, Amerikaner etc. sind austauschbar. Wir werden eine Gesellschaft, die Vielfalt begrüßt, aushält und verteidgt, oder wir werden keine Gesellschaft sein.

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