CY – Infos zur Conservative Yeshiva in Jerusalem

Mein Studienjahr an der konservativen Jeschiva (Conservative Yeshiva – CY) nähert sich in großen Schritten dem Ende, und so erlaube ich mir, eine erste Bilanz zu ziehen, solange alles noch ganz frisch ist.

Als es vor gut einem Jahr darum ging, einen geeigneten Studienort für mich zu finden, galt es folgende Kriterien zu erfüllen:

  • ein Ort, an dem ich Talmud und jüdische Quellen “traditionell” (d.h. in Chevruta – Kleinstgruppe oder mit eine(r) Partner(in), nicht mit einem akademischen Ansatz, sondern um ihrer Selbstwillen, mit rabbinischen Kommentaren und mit Rabbinern) lernen kann,
  • ein Ort, an dem ich als liberaler Jude voll akzeptiert werde,
  • ein Ort, der die Ausbildung von libreralen Rabbiner/innen unterstützt
  • ein Ort, der die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht nur predigt, sondern auch praktiziert,
  • ein Ort, der Pluralität als eine Bereicherung für das Judentum sieht und nicht umgekehrt.
  • ein Ort, der mich in meiner Ausbildung zum Rabbiner weiterbringt.

Das Studienjahr in Jerusalem gehört zur Rabbinerausbildung am Abraham-Geiger-Kolleg zwingend dazu, und so konnte ich bei der Suche meiner Ausbildungsstätte entsprechend auf die Erfahrungen meiner Vorgängerinnen zurückgreifen, obwohl – und das ist typisch am Kolleg – mein Fall sich von den meiner Kommilitonen unterschied. Die Ausbildung am HUC war nicht möglich, da ich bereits in der Mitte meiner Ausbildung bin und das HUC in Jerusalem nur ein Vollzeitprogramm für Studienanfänger anbietet und sich im wesentlichen auf die akademische Ausbildung konzentriert. Die akademische Ausbildung bekomme ich ja in Potsdam, das Programm für die israelischen Studenten ist nur zwei Tage die Woche, der Rest findet an Universitäten statt. So also nur eine Teillösung (im ersten Semester habe ich einen Tag pro Woche die Kurse des HUC-IL besucht).

Pardes war die Lösung für einen Teil meiner Vorgänger, aber ganz ehrlich hatte ich Probleme mit den orthodoxen Inhalten die dort vermittelt werden. Ich denke, es wäre eine Möglichkeit gewesen, aber mit Sicherheit wäre es keine Liebesheirat gewesen und wir hätten das eine oder andere Mal einen Therapeuten einbeziehen müssen 😉

Der letzte Jahrgang am Kolleg hatte die wunderbare Möglichkeit, dass für ihn ein eigenes Programm am Steinsaltz-Institut zusammengestellt wurde. Da ich in meinem Jahrgang aber alleine bin, ergab sich diese Möglichkeit nicht (jedoch fand letzten Sommer ein drei-monatiger Kurs für mich und zwei weitere Geigerstudenten statt).

Ich meine mich zu erinnern, dass R’ Gesa Ederberg mir die CY als Lösung vorgeschlagen hat. Und nach dieser längeren Vorrede will ich mich nun dem zuwenden, warum ich der Meinung bin, dass es – um bei meinen Worten von vorher zu bleiben – eine sehr vernünftige Ehe war:

Mein erster Eindruck von der CY war alleine für sich gesehen umwerfend: Man hat mich mit offenen Armen empfangen. Vom ersten Augenblick begegnete man mir und dem Kolleg mit einer äußerst positiven Einstellung. Ich hatte den Eindruck, da freuen sich Menschen darauf, ihr Wissen weiterzugeben. Viele werden jetzt einwenden, dass dies nun wirklich eine typisch jüdische Haltung sei, worauf ich leider sagen muss, dass dies oft nur dann stimmt, wenn sich Schüler und Lehrer im selben “Rahmen” bewegen. Nicht jede konservative Institution verspürt den Wunsch, Studenten anderer Bewegungen auszubilden und umgekehrt (dies gilt auch für orthodoxen Institutionen). Wie gesagt, die Offenheit gegenüber dem Kolleg und meiner Person  ist mit Sicherheit etwas, dass ich zu den herausragenden Merkmalen der Jeschiva zählen möchte.

Das Angebot an der Jeschiva ist sehr gut. Talmud wird an vier Tagen die Woche in vier verschiedenen Wissensstufen unterrichtet. Vom Einsteigerkurs bis zum Kollel. Wichtig ist zu betonen, dass die CY gegründet wurde, um “nicht professionellen Juden”, d.h. Laien, ein Angebot zur Weiterbildung zu bieten. Auch wenn zunehmend mehr RabbinerstudentInnen die Jeschiva als Ausbildungsstätte für ihr Israeljahr entdecken, bemühen sich die Dozenten darum, in sämtlichen Themenfeldern das Niveau so zu halten, dass die, die ohne jüdisches “Expertenwissen”  kommen, Freude an der Ausbildung finden. Und so findet man neben den Talmudstudien in den verschiedenen Lehrstufen auch viele andere Angebote aufgeteilt in Einführungs- und Advanced-Stufen: Midrasch, Halacha, Bibel.

Die Jeschiva ist ein  Ort, an dem alle Studentinnen ermutigt werden, sich selbst aktiv einzubringen. Beginnend bei den G’ttesdiensten, die in der Regel immer durch Studenten der CY geleitet werden. Ich persönlich habe schnell angefangen, regelmäßig Teile der Tfilah zu leiten, oder aus der Torah zu lesen. G’ttesdienste finden an der Jeschiva 3x täglich (im Sommer nur Schacharit und Mincha) statt, so dass sich genügend Möglichkeiten finden, selbst mal an die Reihe zu kommen (keine Angst, niemand muss, jeder kann). Eine andere Möglichkeit sich einzubringen ist, selbst zu unterrichten. Von Yiddisch bis “Frauen und Halacha”, vom Kippa häkeln bis Torah-Trope, es finden sich unzählige Angebote von Studenten für Studenten.

Bevor ich mich einigen “kritischen” Dingen Punkten zuwende, noch eine Sache, die ich gerne herausstellen möchte: die Jeschiva ist wie eine große JÜDISCHE Familie. Man hat wirklich die Möglichkeit, mal so richtig in jüdisches Leben einzutauchen. Nicht nur gemeinsames Lernen steht auf dem Programm, sondern auch feiern, traurig sein, Schabbat, Feiertage, soziales Engagement, Parties …. Das was viele als amerikanischen Über-Protektionismus abtun (die Sicherheitsemails, das sich Abmelden wenn man länger mal abwesend ist …) zeigt aber auch, dass man Wahrgenommen wird. Die Jeschiva ist klein genug, damit alle Studenten ihre Studenten kennen und als Individuen wahrnimmt. Und die Mitstudenten verfahren gleichsam. Man kümmert sich umeinander.

Bei aller Vielfalt, die die Jeschiva willkommen heißt, ist und bleibt sie doch eine Einrichtung des Konservativen Bewegung. Sie bewegt sich zwar auf der linken Seite, aber immer noch deutlich im Rahmen dessen, was konservatives Judentum ausmacht. Der G’ttesdienst ist zwar egalitär, aber traditionell. Die Auslegung der Halacha modern, aber nicht progressiv. Wer aus einer anderen Strömung kommt muss dies aushalten können. Ich habe dies als Bereicherung für meine eigenen jüdischen Weg empfunden, ich kann aber auch verstehen, dass der eine oder andere  sich hierin nicht wiederfindet und frustriert sich etwas anderes sucht. Ich hatte nicht den Eindruck, dass man versucht, zu missionieren, man möchte sich aber erstens nicht missionieren lassen und b. ist man an der CY stolz auf den eigenen Standpunkt und vertritt den auch deutlich.

Die CY bemüht sich nachdrücklich um Studentinnen und Studenten aus Europa und Staaten, die nicht zu den USA gehören, u.a. mit Stipendien, die großzügig an solche Studenten vergeben werden. Ein Studienjahr kosten einige Tausend USD an Unterrichtsgebühren, die unter anderem durch die Legacy Heritage Foundation übernommen werden. Trotzdem sind 85-90% der Studenten aus den USA, mit der Folge, dass Englisch die alles dominierende Sprache ist. Mit den Studenten aus England hat Hebräisch keine Chance, zu einer Sprache aufzusteigen, in der kommuniziert wird. Auch wenn man die Quellentexte auf hebräisch oder aramäisch liest, besprochen werden sie in englischer Sprache. Obwohl alle Dozenten hebräisch können und Israel direkt um die Jeschiva herum ist, ist die CY eine englische Bubble (Blase), die dafür sorgt, dass sich mein Englisch im Laufe der letzten Monate mehr verbessert hat, als mein Hebräisch.

Es gibt mit Sicherheit noch vieles zu berichten, aber ich denke, dass schon jetzt mein Bericht so lange ist, dass kaum einer ihn bis zu Ende gelesen hat. Informationen zur Jeschiva findet Ihr auf den Websseiten der CY und natürlich könnt Ihr Fragen über die Kommentarfunktion jederzeit an mich richten.

Übrigens: Man kann sich jetzt für das kommenden Studienjahr bewerben. Ich weiss schon, dass mindestens ein Student aus Deutschland da sein wird. Es besteht also schon mal die Möglichkeit für eine kleine deutschsprachige Lerngruppe.

3 Comments

  1. Gray, Germany

    “Obwohl alle Dozenten hebräisch können und Israel direkt um die Jeschiva herum ist, ist die CY eine englische Bubble”
    Wieso eigentlich? Ist das Hebräisch der Teilnehmer für tiefergehende Diskussionen nicht gut genug, oder ist dies einfach nur Bequemlichkeit? Denn wenn die Lehrer und die Leitung es wollten, könnte doch sicherlich Hebräisch als Unterrichtssprache durchgesetzt werden.

    So ist das doch eine verpasste Gelegenheit, über das Studium hinaus auch die Landesssprache besser zu lernen. Gibt es denn wenigstens genügend Gelegenheiten, außerhalb des Kollegs Bekanntschaften zu knüpfen, und sich so mit dem Alltag in Israel auseinanderzusetzen, oder gehen viele nach Hause, die das Land nur aus der abgeschirmten Blase wahrgenommen haben? Das wäre schade, und auf lange Sicht nicht hilfreich.

    • Adrian Michael Schell

      Gray,

      “Gam ve Gam”, d.h. sowohl als auch. Zum einen ist das Sprachniveau vieler Studenten nicht so hoch, dass sie in Hebräisch unterrichtet werden könnten und zum anderen hat es was mit “Bequemlichkeit” zu tun. Wobei ich es nicht als wirklich so negativ betrachten möchte. Der Schwerpunkt der Jeschiva liegt auf der Vermittlung von Talmudwissen und jüdischem Wissen. Es gibt Sprachkurse in der Jeschiva, aber es spielt eine sekundäre Rolle. Irgendwo müssen Prioritäten gesetzt werden. Ob die von jedem geteilt werden ist eine andere Frage. Und ja, ich hatte mir auch mehr in hebräischer Sprache gewünscht, denn ich muss so oder so in einer fremden Sprache lernen. Das Problem ist aber bekannt und eine eventuell höhere Quote von nicht englischen Muttersprachlern, wird vielleicht einen “positiven Einfluss” haben.

      Wie weit jede und jeder sich ein Leben außerhalb der Jeschiva geschaffen hat, ist sehr unterschiedlich. Man kann aber ohne weiteres jeden Tag von 7 bis 19.00 Uhr oder länger in der Jeschiva verbringen. Und am Shabbat auch nur mit den selben Leuten zusammen sein. In wie weit man dann noch was anderes mitbekommt, ist fraglich. Dies ist aber kein Problem, das die Jeschiva lösen kann.

      • Gray, Germany

        Danke für die vertiefenden Details, Adrian! Trotzdem, schade, wenn Leute wieder nach Hause reisen, die nur in der “Bubble” gelebt haben. Aber, klar, die Jeshiva kann niemanden dazu zwingen, über den Tellerrand zu kucken…

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