
vor knapp zwei wochen war in der jüdischen allgemeinen ein pro und contra zu der frage, ob jüdinnen und juden in der bundeswehr dienen sollten oder eben nicht. [hier nachzulesen]
ich habe schon mehrfach darüber nachgedacht. nicht nur, weil der direktor unseres kollegs ein recht aktiver reserveoffizier der bundeswehr ist und man ihn ab und an in uniform am kolleg antreffen kann, sondern weil sie, die bundeswehr, teil der deutschen umwelt ist, in der ich lebe. die bundeswehr spielt in vielen tages- und grundsatzpolitischen disskussionen eine wichtige rolle.
wie religiös kann man als nicht-christ innerhalb der bundeswehr leben?
bevor ich mich der inhaltlichen frage zuwende,will ich erst einmal einen kleinen schritt nach hinten machen, um einen überblick über die technischen fragen zu bekommen, die eine volle bundeswehrbeteiligung von jüdinnen und juden m. E. determinieren. ich war erfreut in den beiden stellungnahmen zu lesen, dass koscheres essen für juden zur verfügung steht, dass shabbat dienstfrei ist und, dass die feiertage als urlaubstage genommen werden können. dies sind drei von vielen grundvoraussetzungen, die meiner meinung nach einfach gegeben sein müssen. nicht das ich glaube, dass es viele gibt, die shomer kashrut/shabbat sind und zur bundeswehr wollen, aber (!) es wäre doch schade, würde eine solche beteiligung an diesen, eher logistischen, fragen scheitern.
ein freund, der bei der bundeswehr gedient hat, berichtete mir noch von zeiten, in denen dies alles nicht so war. die anfrage nach einer “spirituellen begleitung” wurde damit beantwortet, dass man sich ja an den katholischen militär-kaplan wenden könne. das argument, es gebe zu wenige jüdinnen und juden in der bundeswehr, um einen militärrabbiner einstellen zu können, ist meiner meinung nach ein verkehrter zirkelschluss. es könnte mehr jüdische rekruten geben, wenn es rabbiner in der armee gäbe.
kosheres essen und die einhaltung von feiertagen ist wichtig, aber ich bin noch nicht ganz überzeugt, ob die bundewsehranweisungen in ihrer gesamtheit einmal komplett auf ihre tauglichkeit für jüdische angehörige der bundeswehr durchgegangen wurden. innermilitärische schulungen wünsche ich mir ebenfalls. eine antwort, man könne doch zum katholischen geistlichen gehen, spricht weniger für ein versagen einer diensttordung, als für unwissen. judentum ist erstaunlicher weise keine nebenform des christentums. ganz nebenbei: diese forderung kann sicher 1:1 von muslimen unterschrieben werden, wahrscheinlich ist der aufklärungsbedarf und der bedarf an geistlicher betreuung um einiges höher.
kind der “generation friedensbewegung”
nun wieder ein schritt vorwärts, rein in die eigentliche fragestellung. um keine missverständnisse aufkommen zu lassen. die schaffung “technischer voraussetzungen” beantwortet noch lange nicht, ob ich mir einen dienst von juden in der bundeswehr vorstellen kann, oder nicht. als kind der “generation friedensbewegung” bin ich in erster linie pazifist. als deutscher lebe ich in einem land, in dem ich mich sehr sicher fühle. ich glaube nicht an eine bedrohung, der eine klassische armee entgegentreten könnte. (nebenbei: ich spreche mich nicht grundsätzlich gegen armeen aus. israels armee ist ein gutes beispiel für eine landesverteidigung, deren notwendigkeit absolut gegeben ist; eine bedrohung wie sie israel, gibt es in deutschland jedoch nicht.)
der bedrohungen, der wir mehr oder weniger stark hier in deutschland ausgesetzt sind (terror), kann und darf nicht durch eine armee entgegnet werden. unsere geschichte ist ein denkmal dafür, dass polizeiaufgaben durch die polizei wahrgenommen werden muss. die gewaltenteilung muss klar bleiben und ich bin davon überzeugt, dass die derzeitige zuschreibungen der ausübung von gewalt gut so ist, wie sie ist.
mit diesen zwei weiteren vorbemerkungen sind wir bei der eigentlichen fragestellung: welche aufgabe hat die bundeswehr/ bzw. sollte sie haben? und ist es sinnvoll/ angemessen/ möglich /…, dass juden sich an den aufgaben beteiligen? bevor wir die zweite frage auch nur ansatzweise mit ja beantwortet werden kann, sei dies ganz klar gesagt: ohne, dass sich jüdinnen und juden (aus deutschland) an der debatte über die aufgaben der bundeswehr beteiligen, ist eine aktive teilnahme am dienst der bundeswehr von vornherein nicht angebracht und möglich. alle gesellschaftlichen gruppierungen in deutschland haben nicht nur das recht, sondern auch die pflicht, sich an dem gesellschaftlichen diskurs um die ausgestaltung der aufgaben der bundeswehr zu beteiligen.
eine frage des gewissens
wenn uns also ein junger mann, der den einberufungsbefehl erhalten hat, fragt, was er tun soll, dann müssen wir uns überlegen, ob wir ihn guten gewissens in diese bundeswehr gehen lassen können, oder nicht. wie stehen wir zu der frage, ob die bundeswehr in afganistan aufgaben übernehmen soll oder nicht, was ist mit somalia, was ist mit grenzsicherungen?
die bundeswehr als teil eines internationalen, friedenssichernden verbandes ist etwas, an das ich glaube. wenn deutsche soldaten den aufbau von schulen, polizeistationen, krankenhäusern usw. schützt, bis dies durch lokale sicherheitskräfte übernommen werden kann, dann entspricht dies meiner vorstellung einer aufgabenstellung. der debatte, ob der afganistan-krieg, als auslöser des derzeitigen einsatzes, sinnvoll war oder nicht, kann und will ich mich an dieser stelle nicht stellen, da sie im moment zu weit führen würde, aber dauerhaft entziehen kann und will ich mich ihr nicht. in diesem moment
ich stehe auch einem einsatz der bundeswehr an den grenzen israels nicht entgegen. wenn es zu einem friedensplan zwischen dem staat israel und den palästinensern kommen sollte, dann könnten deutsche blauhelme die grenzen sichern. die jüngste, demokratische geschichte der deutschen armee überzeugt mich, dass ein solcher einsatz möglich sein kann und vielleicht auch muss. es gibt durchaus legitime forderungen, die besagen, dass ein solcher einsatz auch dann gerechtfertigt sei, wenn kein einziger jude, wenn keine einzige jüdin dienst in der bundeswehrt leisten würde. so sagt z.B. amos oz, dass die bundesrepublik eine moralische verpflichtung hat, israel auch militärisch zu schützen. (Israel und Deutschland: Vierzig Jahre nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen , Suhrkamp Verlag 2005)
zusammenfassend: die frage, ob ein junger man, oder eine frau, zur bundeswehr geht oder nicht, ist meines erachtens keine halachische (zumindest darf sie das nicht sein, wenn die rahmenbedingungen gegeben sind), sondern eine des gewissens, so wie für jeden anderen bundesbürger auch. wir als jüdische gemeinschaft sollten diesen entscheidungsprozess konstruktiv begleitet. und dabei sollte es keine tabus geben. die frage, ob jüdinnen und juden in der bundeswehr dienen sollten/sollen, ist legitim und genauso wichtig und legitim ist die frage, wie weit sich die bundeswehr ihrer eigenen vergangenheit gestellt hat? fragen, denen wir uns vielleicht in einer diskussion (auf dieser site) nähern können ?!