es geht nicht um den konflikt selbst

stopp!!! ich kann diese propaganda nicht mehr hören und sehen. hunderte von kettenmails, pro-palästinensisch, pro-israelisch, pro und contra, rauf und runter, erreichen mich täglich. ich weiss nicht in welche verteiler ich geraten bin, aber es “kotzt” mich an.

ich habe meine eigene meinung zu diesem krieg und die behalte ich ganz einfach nur noch für mich. überhaupt würde ich mich am liebsten einigeln. klappe halten und abtauchen. fragen zum konflikt in und um gaza werden nicht mehr beantwortet. punkt aus basta. man sagt eh nur das falsche. bin ich dafür, bin ich ein kriegstreiber – bin ich dagegen, ein anti-zionist.  zu kritisch, zu wenig kritisch, zu was weiss ich nicht alles. ich behalte einfach meine meinung für mich.

was mich trotzdem davon abhält, ist eine diskussionswürdige aussage von rabbiner ben chorin, der in einer stellungnahme zur aktuellen lage in israel u.a. folgendes sagte: “wie bei so vielen konflikten die im nahen osten stattfinden, geht es nicht um den konflikt selbst, sondern um die frage, wie die welt israel wahrnimmt, bzw. gerne haben möchte”.

ich bin dieser these nachgegangen. provokativ gesagt bedeutet dies nämlich, dass den ganzen demonstranten, die für die hamas und die palästinenser auf die straße gehen, die toten im grunde genommen egal sind. bei all den propaganda-wellen, die mich erreichen, geht es demnach nicht um die menschen, die vor ort betroffen sind, sondern um eine zweite frontlinie.

außerhalb israels und des gaza streifens tobt eine zweite schlacht, die um das “richtige” bild über israel. auf der einen seite vernimmt man: “nur ein toter jude ist ein guter jude” (inkl. derjenigen, die juden lieber nur als opfer der shoah haben möchten und nun empört die handlungen israels verurteilen) und auf der anderen seite das ringen für den staat israel: als ein staat unter staaten anerkannt zu werden, ein ringen um das recht menschlicher entscheidungsfreiheit, d.h. entscheidungsfreiheit für “gut und böse”, jentseits von (vermeintlichen) ansprüchen nach moral anderer staaten und gut-menschen.

das schlimme an dieser schlacht ist, dass wir juden, die also, die für israel einstehen, diesen kampf nicht gewinnen können, da ein “sieg” die ethische verpflichtung “israels” (die söhne und töchter jakovs) für jeden menschen ausschließt. das streiten um die meinungshoheit über den stammtischen und auf den straßen, entpersonalisiert die opfer und macht sie zu objekten einer fragwürdigen auseinandersetzung.

ein krieg gegen die hamas zum schutz seiner bürger ist für den staat israel überlebensnotwendig, da bin ich mir zu diesem zeitpunkt sicher, ich sehe tatsächlich keine alternativen dazu. aber, als juden, ob nun in israel oder in der diaspora, sind wir daran gebunden, durch unsere geschichte, traditionen und werte – durch die torah, die propheten und unsere schriften –  jedem menschen, selbst unserem “feind”, seine menschlichkeit zu lassen.

so bleibe ich doch still in diesen wochen, wenn auch aus anderen gründen: ich mag und kann die opfer dieses krieges nicht für eine zweite auseinandersetzung erneut zwischen die frontlinien stellen. weder den toten palästinenser, noch die tote israelische soldatin, weder die kinder östlich, noch westlich der grenze zu gaza. ein krieg ist ein krieg und eignet sich nicht zu freudensausbrüchen und/oder “werbung” für sich zu betreiben.

13 Comments

  1. Yoav Sapir

    Die (z. T. obsessive) Selbstbeschäftigung mit Israel ist Teil der Identitätsstiftung von Juden im Ausland. Insofern hast du Recht: Es geht nicht so sehr um den Konflikt (Wahrheit? Hoffnung?) wie darum, sich selbst darüber zu definieren und die eigene Identität zu bestätigen.

  2. Adi

    du hast recht, jedoch glaube ich nicht, dass ein krieg und die medienschlacht darum, eine geeignete basis bilden, die jüdische identität, die – zumindest meiner meinung nach – auf anderen werten beruht, zu stärken.

    konflikte schweißen zusammen und mit sicherheit ist der andauernde druck von außen ein grund dafür, warum juden über generationen hinweg als gemeinschaft erkennbar geblieben sind, aber ich denke nicht, dass dies ausreicht. vor allem nicht nachhaltig.

    wir haben mehr, wir haben größere schätze, wir können mehr. wir brauchen keinen krieg um juden in ihrer identität zu stärken.

  3. Yoav Sapir

    Der Krieg (als solcher, nicht nur der jetzige) ist lediglich eine zeitlich bedingte, aus objektiven Gründen nachvollziehbare Besonderheit in der andauernden Selbstbeschäftigung mit Israel.

    Das mit den größeren Schätzen – egal, was diese sein mögen – muss sich noch zeigen, und zwar daran, dass Juden im Ausland sich genauso eifrig etwa über den Rambam unterhalten wie über Israel im Allgemeinen und zu Kriegszeiten im Besonderen.

  4. silke

    Ich stimme Yoav zu, allerdings nur insofern als das der Konflikt oder eben auch Israel von meiner (nicht juedischen) Umwelt als ein meine Identitaet konstituierendes Instrument wahrgenommen wird. De facto ist das aber nicht so oder nur beschraenkt so, weil der Staat Israel keineswegs ein zentrales Element meiner Identitaet ist (wenn dem so waere, lebte ich dort), und es gibt hier (UK) viele durchaus observante und engagierte Juden und Juedinnen, die das aehnlich sehen, ohne gleich in die Kategorie “antizionistisch” (das ist naemlich noch mal was anderes) zu fallen. In seiner Analyse der “zweiten Schlacht” stimme ich Adi zu – und meine auch, dass fuer die Gemeinden ausserhalb Israels diese “Schlacht” weitaus wichtiger ist, da sie ihr taegliches Leben und Miteinander in und mit der nichtjuedischen Umwelt beeinflusst oder bestimmt. “Community tensions”, also stark angespannte Beziehungen zwischen den juedischen Gemeinden und anderen Gemeinden und Gruppierungen in der Diaspora in der Folge des Gazakrieges sind ein politisches und reales Phaenomen, dem es Einhalt zu gebieten gilt. Wenn Dialog zwischen anderen religioesen und politischen (Gaza ist kein Religionskrieg) Gruppierungen und juedischen Gemeinden je not tat, dann jetzt.

  5. Chayim

    Ich stimme Yoav zu insofern, als Israel und die Beschäftigung mit Israel für Jüdinnen und Juden im Ausland ein wichtiger identitätsstiftender Faktor ist. Das trifft vor allem auf Jüdinnen und Juden in Deutschland zu, die (auch wenn sie sich für orthodox oder traditionell halten) sich zum Großteil durch Shoah und den damit einhergehenden Verlust von Menschen, Heimat und Selbstwert identifizieren und die (leider) vom Judentum mit seinen vielen Aspekten (nicht nur im Ritus, sondern auch z.B. seiner reichen Ideengeschichte) nur wenig wissen.

  6. PETER

    Auch dieser Konflikt wird sich nur dadurch lösen lassen, dass die Menschen unabhängig von Staats- und Wirtschaftsmacht eine zeitgemäße Form für das Verhältnis von Staatsgewalt, Wirtschaft und Kultur finden, denn auch im Nahen Osten liegt der Quell des Konflikts in einer unzeitgemäßen Verstrickung dieser drei Lebensbereiche. http://www.dreigliederung.de/

  7. silke

    Chayim – fuer Deutschland gilt dies sicherlich. Allerdings deutet sich in Deinem Kommentar auch eine Haltung an, bei der Israel und die Identifizerung mit Israel sich zu einer Art Ersatzreligion wird, also so eine Art traditionsloser Nationalismus, was ich schon fuer bedenklich halte.

  8. Adi

    Silke, genau deine letzten bedenken teile ich. nur spitze ich es auf den krieg, bzw. den konflikt zu. chayim hat es in meinen augen richtig analysiert, dass wir juden (in deutschland) uns zu gerne die identität durch außen aufdrücken lassen, bzw. breitwillig annehmen. wenn der konflikt mit teilen der arabischen welt zum alles bestimmenden thema wird, wird er irgendwann das einzigste sein, was wir an die künftigen generationen weitergeben können.

    so wie die dauerhafte auseinandersetzung mit den nazis hier in deutschland identitätsbestimmend war (und ist). so wie ich hier in deutschland nicht lebe, wegen oder trotz hitler, sondern, weil ich hier leben möchte, so existiert der staat israel nicht wegen oder gegen araber, sondern weil wir juden es so wollen.

    die definition unseres lebens erfolgt aus uns heraus, andernfalls werden wir für ewig auf das gutdünken unserer widersacher angewiesen sein.

  9. silke

    Adi, da sind wir einer Meinung. Bewusstes Judentum ist eben nicht der Staat Israel (obwohl er eine Rolle spielen kann, vor allem im Staat selbst), Hitler und der Nahost Konflikt, sondern eben die lebendige Auseinandersetzung mit Da’at Jehudi (ich sage jetzt bewusst nicht Religion, das klingt auf Deutsch und Englisch eindeutig christlich), juedischen Texten und den relevanten Mitzvot (ob das nun in einem reform, masorti, oder orthodoxen Kontext passiert, ist dabei fast unerheblich, zumal diese Labels nicht immer oder nur selten hilfreich sind). Ich habe auch immer ein Problem damit gehabt, die Motivation, als bewusste und praktizierende Jude/Juedin zu leben auf Emil Fackenheim’s 614tes “Gebot” zu reduzieren. (Deshalb habe ich auch btw meine Probleme mit dem Unterrichten der Shoa im Cheder). Leider scheint es nur wenige Stimmen unserer Generation zu geben, die sich damit aktiv und oeffentlich (ein paar blogs mal ausgenommen) auseinander setzen und die ein Judentum, das eben nicht auf Hitler und Israel fixiert ist zu formen bereit sind.

  10. silke

    Sorry, die Parenthese im zweiten Satz meines letzten Beitrages sollte heissen “(obwohl er eine Rolle in der Bildung der juedischen Identitaet spielen kann, vor allem fuer Juden im Staat selbst).”

  11. Yoav Sapir

    Die Hinwendung zu Israel hat nicht (nur) mit Hitler zu tun. Es geht vielmehr um die Rückkehr in die Geschichte, um ein reales, weil natürliches Volksleben.

    Ob das gut ist oder nicht, ist eine andere Frage. Aber selbst wenn es euch nicht gefällt und ihr der Meinung seid, dass Israel nicht so bedeutend sein solle: Das heißt ja noch nicht, dass es auch *möglich* ist. Ihr müsstet eigentlich sagen können, worüber man sich in der Gegenwart noch identifizieren könnte. Denn die meisten Menschen geben sich nicht mit wiederholten Hinweisen auf Vergangenes zufrieden, so glänzend dieses auch beschrieben wird. Zudem müsste das, was ihr im gegenwärtigen Ausland findet, mit dem Jüdischen schlechthin konkurrieren… Ich glaube, kein zeitgenössischer Denker wäre dazu in der Lage. Auch wenn morgen ein neuer Levinas auftauchen würde, könnte eine einzige Person doch keine “Konkurrenz” bieten. Der qualitative Unterschied zwischen der jüdischen Öffentlichkeit und dem Ausland, geschweige denn Einzelpersonen im Ausland, lässt sich einfach nicht überbrücken.

    Mehr zu dieser Thematik findet ihr in den Diskussionen v. a. zu diesen Beiträgen:
    1. http://www.chronologs.de/chrono/blog/un-zugehorig/judische-religion/2008-10-11/ein-j-discher-katechismus-ber-j-disches-recht-und-sein-verh-ltnis-zur-wirklichkeit
    2. http://www.chronologs.de/chrono/blog/un-zugehorig/judische-religion/2008-12-09/synagoge-ausgedient

  12. silke

    Yoav- und ich dachte, das Judentum sitzt zusammen mit Franz Rosenzweig neben der Geschichte ;-)?

    Ich habe nicht gesagt, dass Israel nicht bedeutend sei- nur halt nicht das dominante Element meiner juedischen Identitaet (obwohl oder weil ich dort gewohnt habe). Wenn bei Diasporajuden Israel eine derart dominante Rolle spielt, dass Israel fast das einzige konsituierende Element ihrer Identitaet ist, draengt sich mir immer die Frage auf, warum die jeweiligen Leute nicht dort wohnen und ob diese nationalistische Identitfikation nicht ein bisschen wenig ist, um modernes Judentum (modern im Sinne von relevant und in mein taegliches Leben integriert) zu leben. Ich verstehe nicht ganz, warum Du meinst, etwas, was ich “hier” (in meinem Fall London und Umgebung) finde, mit dem Juedischen schlechthin konkurrieren muesse. Letztlich heisst das doch, dass fuer dich juedisches Leben nur in Israel “richtig” moeglich ist.

    Du fragst, mit was mensch sich denn noch in der Gegenwart idenifizieren kann, da Verweise auf das Vergangene nicht ausreichen. Ich dachte eigentlich nicht, das Mitzvot etwas spezifisch Vergangenes sind, es sei denn, sie beziehen sich auf Avodah im Tempel.

    Adi, wie du siehst, hat dein Blog eine Menge Reaktionen und Diskussionen hervorgerufen. Um deinen Blog nicht mit Kommentaren zu fuellen, ich glaube, muss ich mir bald einen eigenen Blog zulegen 😉

  13. Serdar

    @Silke

    Chayim – fuer Deutschland gilt dies sicherlich. Allerdings deutet sich in Deinem Kommentar auch eine Haltung an, bei der Israel und die Identifizerung mit Israel sich zu einer Art Ersatzreligion wird, also so eine Art traditionsloser Nationalismus, was ich schon fuer bedenklich halte.


    Ich kenne das aus anderen Zusammenhängen, vielleicht trifft das ja auch auf die israelische Gesellschaft zu. Damit meine ich, das die äußere Konflikte zusammenschweißen und so innere Konflikte übertünchen. Wenn das sehr lange anhält, kann es passieren, das der äußere Konflikt nicht mehr wegzudenken ist. Nicht in dem Sinne, das man sich das bewusst wünscht aber unbewusst doch sich daran gewöhnt.
    Manchmal habe ich den Eindruck, das gerade die äußere Gefahr dafür gesorgt hat, das in Israel die inneren Konflikte nicht noch mehr ausgebrochen sind.
    Ich könnte mir durchaus auch vorstellen, das es in der Gesellschaft Gruppen und auch einzelne Menschen gibt, die plötzlich verwirrst dastehen würden, wenn es den äußeren Feind nicht mehr gäbe.

    Der oben erwähnte andere Zusammenhang ist die Türkei. Jahrzehnte lang hat der türkische Staat (vor allem die Armee) weiß machen wollen, das wir nur so von Feinden umzingelt sind. Das hat alles gerechtfertigt, repressive Politik, hohe Ausgaben für die Streitkräfte und die Einmischung der Armee in die Politik. Im inneren hatte man die Minderheiten als die verlängerten Instrumente der äußeren Mächte angesehen und nach außen konnte man sich in Pose legen.
    Diese Sicht der Dinge ist dann zusammengebrochen mit dem Erdbeben 1999, plötzlich haben uns die Griechen geholfen. Das war der Auftakt für ein entspanntes Verhalten gegenüber unserem Nachbarn. Das gleiche gilt für Syrien, da gab es Jahrzehnte lang Zoff, heute ist es besser würde ich sagen.

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