Zu Diensten

ein artikel von micha guttmann in der jüdischen allgemeinen vom 16.10. [hier] habe ich die tage mal mit meinem eintrag vom letzten jahr verglich und erneut – nach einem jahr praktischer erfahrung in meinen gemeinden – darüber nachgedacht, wie/ und ob sich mein bild vom rabbinerberuf verändert hat:

die antwort lautet, wie sollte man es anders von mir erwarten: JAIN. noch immer sehe ich die notwenigkeit, dass rabbiner in deutschland ausgebildet werden müssen, um für die hiesigen gemeinden einen guten dienst leisten zu können. auch wenn herr guttmann es nicht explizit so sagt, denke ich, dass er die ausbildung in deutschland positiv bewertet und mit dem verweiss, dass nun auch rabbiner bereit sein, in deutschland tätig zu sein, nicht nur auf “importe” beschränkt.

das problem, die fehlende “unternehmenskultur”, wenn wir die tätigkeit eines rabbiners in einer gemeinde mit einer regulären tätigkeit in einem x-beliebigen unternehmen gleichsetzen wollen, sehe ich auch z.t. so. es gibt einige gemeinden, die keine erfahrungen mit regelmäßigen rabbinerbesuchen, geschweige denn, fest angestellten rabbinern kennen und ein neuland betreten. aber, genau auf diese tatsache verweise ich auch, wenn ich eine ausbildung von rabbinern in deutschland verweise und als dringend erforderlich bezeichne. es ist teil der ausbildung, gemeinden auch in diesem, für sie neuem feld, zu begleiten. der auf- und ausbau von gemeinden ist grundlage der ganzen ausbildung.

ich werde häufig gefragt, warum ich nicht die ausbildung z.b. am hebrew union college in den usa mache. ganz klar, weil ich kein rabbiner in den usa werden will. die ausbildung in den usa geht davon aus, in gemeinden tätig zu sein, die gefestigte strukturen haben, die organisch gewachsen sind und und und. probleme (und das ist jetzt vielleicht überspitzt formuliert), die in den dortigen gemeinden bewältigt werden müssen, sind eher in der erneuerung des bisherigen gemeindelebens zu suchen. “wie schaffe ich es, reform nicht zu reformodox werden zu lassen”, und mit sicherheit vergleichbar in der orthodoxie.

hier in deutschland ist die welt eine andere. ich wäre glücklich, bestehende strukturen vorzufinden und nur erneuern zu dürfen. minhagim entwickeln sich erst und so ist eine rabbinerin, ein rabbiner ein begleiter in diesem prozess. gegenüber früher würde ich heute noch viel mehr unterstreichen, dass dieser begeleitprozess die wichtigste aufgabe ist. die kompetenz ist in den gemeinden, das potential, ein vielfälltiges gemeindeleben, auch in religiöser hinsicht, zu entwickeln ist vorhanden.

eine rabbinerin oder ein rabbiner, der versucht, “alleinunterhalter” zu sein, wird meines erachtens über kurz oder lang seine gemeinde verlieren und es wird zu eben jenen arbeitsgerichtsprozessen kommen, von den wir leider immer wieder hören. auf den ersten blick würde ich micha guttmann schnell zustimmend zunicken, wenn er schreibt, dass die religiöse ausrichtung der gemeinde kongruend zum rabbiner sein sollte und muss. “ja und nein” nach längerem überlegen. die deutsche situation ist nun mal, dass in den meißten orten nur eine gemeinde vorhanden ist. ein rabbiner muss mit dieser situation umgehen können und nicht versuchen, die gemeinde einseitig zu prägen. respekt ist das zauberwort 🙂 ich als liberaler, muss es zulassen können, dass orthodoxe nach ihrer tradition beten wollen (als beispiel). wenn ich es vertreten kann, dann leite ich diese gebete, wenn nicht, muss sich jemand von “den orthodoxen” betern bereit erklären, diese aufgabe zu übernehmen. noch einmal, die kompetenz ist mit sicherheit vorhanden und der rabbiner muss dieser möglichkeit offen gegenüberstehen und sie positiv begeliten.

es mag idealistisch klingen, aber optimismus und idealismus ist ein teil unserer jüdisch-deutschen realität und vielleicht das andere zauberwort. meine erfahrungen machen mut zu mehr …

(update folgt bestimmt)

1 Comment

  1. Yankel Moishe

    Schon mein Geschichtslehrer wusste: “Nur wer fordert, foertdert.”
    Wenn Gemeinden sich den Rabbinerkandidaten aussucht,
    der die geringsten Anforderungen an seine Schaefchen stellt,
    sollten wir uns erst gar keine Hoffnungen an einen erfolgreichen Aufbau machen.

    Diese wahre Story habe ich vom Sohn des betroffenen Rabbiners gehoert
    (spielt nach dem Krieg, Midwest USA):
    Vorstand besucht Rabbinerkandidaten in dessen Hotelzimmer.
    Der sitzt ueber einer Gemara und lernt.
    Vorstand reagiert ablehnend.
    Rabbinerkandidat fragt verduzt nach dem Grund.
    Antwort: “Wir wollen keinen Rabbiner, der noch lernt.
    Wir wollen einen, der es schon weis.” 😉

    Brauchen Gemeinden in D heute wirklich Rabbiner?
    Ist das nicht in vielen Faellen bloss “der Vortaenzer der Trachtengruppe”?
    Waeren angesichts des eklatanten Unwissens Lehrer nciht viel wichtiger?

    YM

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