parashat bo, nazi demo und zivilcourage

diesen shabbat war ich wieder in meiner praktikumsgemeinde in hameln, diesmal war der besuch jedoch ein wenig anders als sonst, er wurde um ein politische dimension erweitert, die wahrscheinlich auch “alltag” im berufsbild eines rabbiners (in deutschland) ist.

die npd (herr rieger) hat in hameln ein altes kino gekauft und nutzt es ab und an als veranstaltungsort. für gestern hatte sie zu einer mahnwache und demo vor eben diesem kino aufgerufen. zum zweiten mal seid beginn des jahres – es ist wahlkampf in niedersachsen. [siehe auch artikel auf indymedia]

dgb, die kirchen und die demokratischen parteien haben, wie auch bei der letzten veranstaltung der npd, zu einer gegendemonstration aufgerufen, um deutlich zu machen, dass die npd nicht teil unserer gesellschaft ist und sein kann, dass rechtspopulismus, ausländerfeindlichkeit und menschenverachtende positionen kein teil deutscher politik sein dürfen. auch die jüdische gemeinde in hameln war (und ist) teil dieses bündnisses gegen rechts und so gingen wir gestern, nach dem schacharit- (morgen-)G’ttesdienst und Torah-study gemeinsam zum zentralen marktplatz der stadt und “zeigten flagge”.  in meiner funktion als rabbinerstudent wurde ich gebeten, ebenfalls einen redebeitrag zu leisten. diese bitte bin ich nicht nur “wegen der funktion” nachgenommen, sondern auch, weil es mir persönlich wichtig war.

wir haben diesen shabbat in dem wochenabschnitt bo über den beginn der freiheit der israeliten gelesen und den damit verbundenen auftrag, dieser freiheit (jedes jahr zu pessach, jeden shabbat, jeden tag) zu gedenken. wir lernen, dass freiheit nichts selbstverständliches ist und einen großen wert an sich darstellt. einen schatz, den wir hüten und verteidigen müssen, etwas, dass wir unseren kindern, enkeln und allen generationen lehren sollen.

freiheit bedeutet für mich (hier in deutschland) konkret, dass wir als juden gemeinsam beten, feiern, lachen und zusammenkommen können, dass wir juden sein können. und dies ist in gefahr, wenn rechtspopulisten wie die npd in die landtage, gemeindeparlamente und sonstige demokratischen strukturen eindringen und mit ihrem hass gegen alles andere unsere gemeinsame kultur des miteinanders vergiften.

in unserer torah-study haben wir den wochenabschnitt gerade im hinblick auf die aktuelle politische lage in der stadt und in unserem land hin untersucht. was bedeutet es, wenn in unserem text steht, dass pharao ein hartes herz hatte und ob wir nicht alle pharao sein könnten. vielleicht ist ein hartes herz eines, welches wegschaut, eines, dass bewusst angst, ausbeutung, angriffe auf die menschenwürde und menschen an sich ignoriert.

in meinen augen war das verhärtete herz pharaos kein unüberwindbares hindernis, sich doch für das gute zu entscheiden. G’tt hat pharao nicht die entscheidungsfreiheit zwischen gut und böse genommen. pharao hat sich gegen das gute, für das böse entschieden (manchmal scheint es so, dass wir uns nicht anders entscheiden können, aber letztendlich haben wir immer eine wahl***). niemand muss ein held sein, aber gar nichts tun, wenn man mitbekommt, dass ein anderer mensch in gefahr ist (körperlich und seelisch) ist gleichbedeutend dem harten herz pharaos.

zur zeit erleben wir in deutschland eine heftige debatte über jugendkriminalität und dabei wurde zb. ich kritisiert, weil ich die stellungnahme des zentralrates hierzu befürworte [siehe mein beitrag zu den erziehungscamps]. ich befürworte die stellungname des zentralrates nicht deshalb, weil sie vom zentralrat kommt, sondern weil sie in der sache richtig ist. gestern wurde während der demonstration in hameln die frage gestellt, in was für einer gesellschaft wir leben wollen. diese frage müssen wir uns tatsächlich stellen und wenn wir der meinung sind, dass die art von gesellschaft, die wir uns erhoffen in gefahr ist, müssen wir uns einmischen. und nicht nur dann, wenn es um uns als juden geht, sondern wenn es um unsere werte geht. wenn die debatte, wie sie gerade in deutschland einseitig zu lasten einer minderheit geht (nämlich von ausländern und vermeintlichen ausländern), dann dürfen wir nicht schweigen.

*** (folgenden gedanken habe ich noch nicht zu ende gedacht, aber ich möchte ihn trotzdem mit euch teilen: wenn man die 10 plagen als 10 prüfungen für pharao betrachtet, so gibt es eine interessante parallele zu den 10 prüfungen, vor die avraham lt. midrasch gestellt wird (pirke de rabbi elieser, kap. 26))