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Parashat Va’etchanan

Dieses Mal nur eine kleine Zusammenfassung und ein paar Fragen am Ende. Vielleicht hat ja der eine, oder die andere von Euch mal Lust, die Fragen im Kommentar zu beantworten.

Parashat Va’etchanan (Dtn 3.23-7.11) – Haftara: Isaiah 40:1 – 40:26
Dieser Schabbat wird nicht nach der Parashat, sondern nach der Haftara „Nachamu“ benannt. Es ist der erste Schabbat (von sieben) des Trostes zwischen Tischa B’Av und Rosch HaSchana.
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Dewarim: Gerechtigkeit entsteht niemals aus Vorurteilen

Unser Wochenabschnitt für diese Woche heißt „Dewarim“ – „Worte“. Er ist der erste Wochenabschnitt aus dem fünften und letzten Buch unserer Tora. Das ganze Buch enthält eine Serie von Reden, die Moses an die Israeliten richtet, kurz bevor sie in das versprochene Land einziehen werden, und ihre Wüstenwanderung beenden können.

Moses zeichnet nicht nur noch einmal die lange Reise seit dem Auszug aus Ägypten nach, sondern wiederholt die ethischen Werte und Errungenschaften, die das junge Volk in den vergangenen 40 Jahren erhalten haben. Wir lernen von den Schwierigkeiten, die jede Gesellschaft in Angriff nehmen muss, und wie die Leitlinien der Tora helfen können, diese Schwierigkeiten zu bewältigen. Moses berichtet auch, wie er und auch Gott große Zweifel hatten, ob die Kinder Israels die Erwartungen, die beide an sie hatten, auch erfüllen könnten. Die Erzählungen sind voll von Verzweiflung, Mahnungen und am Ende doch immer wieder auch voll von Hoffnung. Moses und Gott geben die Kinder Israels nicht auf. Continue reading

Parashat Balak: Der beschädigte Gott

Wenn man sich das Ende des Wochenabschnitt für diese Woche anschaut (Balak – Num 22,2-25,9), könnte man meinen, dass man über das Ende des israelitischen Volkes liest. Im Lager der Israeliten herrscht Chaos, das große Projekt, ein neues Volk aus Sklaven zu bilden, scheint zu scheitern. Wir werden Zeugen eines sehr dramatischen Moments während der Wüstenwanderung.
Schauen wir uns doch einmal die Situation genauer an.

Die 40jährige Wüstenwanderung ging ihrem Ende zu. Von der ersten Generation, also denjenigen, die einst Sklaven waren, lebte nur noch eine Hand voll, das Volk war müde von der Wanderung, Mosche war längst kein dynamischer Anführer mehr und die vor 40 Jahren eingeführten Rituale und Gebote scheinen, wie Mosche auch, an Autorität verloren zu haben. Gleichzeitig war das Volk mit den ersten Kriegen im Rahmen der Landnahme konfrontiert. Nach dem Krieg gegen die Emori war eine Auseinandersetzung mit Moav unausweichlich.

Es geschah, was häufig in solchen Situationen passiert: Die Situation geriet außer Kontrolle. Nach dem Segen Bileams über die Israeliten spricht alles dafür, dass die Herrschaft von Gott zerbrochen war. Es war der Prophet eines fremden Gottes, der Israel in direkter Konfrontation mit dem Feind Moav segnete, nicht einer von Gottes Priestern, nicht Mosche oder Elazar. Die Israeliten konnten nicht wissen, dass Gott selbst Bileam die Segensworte in den Mund gelegt hatte. Es scheint mir fast logisch, dass Zimri, einer der Prinzen Israels, sich wie alle anderen Israeliten von Gott abwandte und den Ba’al Peor anbetete. Die Regeln, Gebote und Verbote der Torah hatten nach 40 Jahren in der Wüste ihre Gültigkeit verloren und waren damit irgendwie auch zu einer Qual für die Menschen geworden.

Die direkte Folge war, dass die Ordnung im Lager zusammen brach – die Tora, die Gebote und Verbote sollten das Zusammenleben organisieren, ohne sie, herrschte jetzt nur noch die Willkür. Dass Gott nicht sehr glücklich mit dieser Entwicklung war, können wir uns sehr gut vorstellen. Sein Projekt, all seine Mühen schienen zu scheitern. Mehr noch, er erkannte, dass die Kinder Israels auch nach so vielen Jahren immer noch ohne Vertrauen in ihn waren, sonst hätten sie gewusst, dass er es war, der sie segnen ließ, und kein fremder Gott. Die Schilderung in der Tora beschreibt sehr eindrücklich, wie groß die Enttäuschung Gottes gewesen sein muss: Er schlug die Israeliten mit einer großen Plage und ließ in seiner Zornesglut die Israeliten zu Tausenden an einer Seuche sterben.

Blicken wir noch weiter zurück. Im Wochenabschnitt „Ki Tissa“ sind wir schon einmal Zeugen einer vergleichbaren Situation geworden. Damals weilte Mosche noch auf dem Berg Sinai, während die Israeliten um das Goldene Kalb tanzten. Damals wie heute reagierte Gott zornig und eifersüchtig. Es gab aber einen markanten Unterschied: Damals reagiert Mosche auf die Ereignisse. Er stellt sich vor Gott und Kämpft gegen die Vernichtung des Volkes und vor allem für die Ehre Gottes:

„Warum sollen die Mizraijm sprechen: Zum Unglück hat er sie herausgeführt, sie zu erschlagen auf dem Bergen … Kehre um von deiner Zornesglut und bedenke dich wegen des Unheils über Dein Volk“ (Ex 32.12f)

Und diesmal? Was macht Mosche jetzt? Mein Eindruck ist, dass er aufgegeben hatte. Er versucht nicht mehr Gott zu stoppen. Er wird zu einem passiven Beobachter und sogar Henker. Ich muss zugeben, ich war enttäuscht von seiner Reaktion.

Sollte die Geschichte vom Auszug aus Ägypten tatsächlich so enden? Sollte Israel so kurz vor dem Einzug ins versprochene Land verschwinden? Vernichtet von einer Seuche bzw. komplett assimiliert im Volk der Moabiter?

Wenn Ihr mich fragt, ich glaube, dass diese Katastrophe fast Wirklichkeit geworden wäre, hätte Pinchas nicht eingegriffen. Auf dem Höhepunkt der Entweihung des Bundes mit dem Ewigen, dem Augenblick als Zimri, der Prinz aus Israel, mit Kosbi, der moabitischen Fürstentochter, im Zelt verschwanden (einigen Kommentatoren zufolge handelte es sich hierbei um das Stiftszelt) um einen neuen Bund zwischen Israel und Moav und damit mit dem Ba’al Peor, durch die körperliche Vereinigung zu besiegeln, sehen wir Pinchas die beiden töten. Diese dramatische Handlung bringt die Wende.
Erstaunlicherweise endete unser Wochenabschnitt genau auf diesem dramatischen Höhepunkt – mit einem Blick auf die 24.000 Toten. Wir alle haben gelernt, dass man eine Toralesung nicht mit etwas negativen beenden soll, aber trotzdem finden wir genau hier einen solchen Schluss.

Es ist wie ein Innehalten, Nachdenken über das, was gerade geschehen ist. Eine Atempause für uns und für Gott.

Zu Beginn des Wochenabschnittes für die nächste Woche lesen wir:

„Pinchas, Sohn Elazars … hat meinen Grimm abgewendet von den Kindern Israels, indem er eiferte an meiner Statt unter ihnen, dass ich nicht auftrieb die Kinder Israel in meinem Eifer (Num 25.11)“

Pinchas konnte nicht wie Mosche direkt mit Gott sprechen um ihn in seiner Wut zu stoppen, aber durch sein – zugegebener Maßen – extremes Handeln, konnte er Gott doch erreichen.
Ich will die Tat Pinchas nicht gut heißen, ich frage mich aber selbst, wie wir Situationen, in denen alles außer Kontrolle gerät, wieder in geordnete Bahnen zurück lenken können. Wie stoppen wir jemanden, der wie wild um sich schlägt? Oder auf unsere Gemeindesituation übertragen, wie verhindern wir, dass ein Moment so aus dem Ruder läuft, dass der Name Gottes beschädigt werden könnte?
Pinchas ist für mich nicht vergleichbar mit den Extremisten, die heute im Namen Gottes töten. Er hat genau das Gegenteil aufgezeigt. Töten aus Eifer beschädigt den Namen Gottes und bringt weiteres Töten mit sich. Die Handlung Pinchas war wie eine Ohrfeige für das Volk und für Gott, oder ein lautes auf den Tisch schlagen. Die Reaktion Gottes darauf zeigt, dass es sich dabei nur um eine einmalige, extreme Handlung handeln durfte und dass wir in solch einer Situation den Frieden suchen müssen. Pinchas wird nicht zum neuen Anführer der Israeliten, oder zu einem Krieger: Gewalt ist nicht die Lösung. Durch den Friedensbund den Gott am Anfang der nächsten Parascha mit Pinchas schließt, bindet Gott Pinchas an sich und an das Volk Israel. Der Extremist wird als Priester zum Vermittler zwischen ihnen und Gott.

Für uns bedeutet es, dass wir extreme Situationen und Positionen wahrnehmen müssen, auch wenn sie uns unangenehm sind. Wir müssen ihnen entschieden entgegentreten, aber gleichzeitig müssen wir auch lernen sie einzubinden. Manchmal muss man doch den Bock zum Gärtner machen. Schalom bedeutet eben mehr als nur Frieden.

Shabbat Shalom

Beha’alotecha: Ein Zeichen der Liebe und der Stärke

Viele von Euch erinnern sich vielleicht noch daran, dass sie als Kind irgendwann ein Fahrrad geschenkt bekommen haben. Ich erinnere mich auch noch daran. Mit dem Fahrrad habe ich damals ein Stück Unabhängigkeit bekommen und ich erinnere mich auch noch gut daran, wie ich einige Jahre lang mit dem Fahrrad täglich zu meinen Freunden gefahren bin und meine Welt entdeckt habe. Ich habe recht spät gelernt, mit dem Fahrrad zu fahren und ich weiß noch, dass es nicht einfach war, es zu lernen. Heute kann ich mir zudem ganz gut vorstellen, dass es nicht nur schwer für mich war, sondern irgendwie auch für meine Eltern. Das schöne war, dass mein Vater aber nie aufgehört hat, mit mir zu üben.
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Gebet für die in Nigeria entführten Schulkinder

תהלים קמב
מַשְׂכִּיל לְדָוִד, בִּהְיוֹתוֹ בַמְּעָרָה תְפִלָּה׃ קוֹלִי אֶל יְהוָה אֶזְעָק, קוֹלִי אֶל יְהוָה אֶתְחַנָּן׃ אֶשְׁפֹּךְ לְפָנָיו שִׂיחִי, צָרָתִי לְפָנָיו אַגִּיד׃ בְּהִתְעַטֵּף עָלַי רוּחִי וְאַתָּה יָדַֽעְתָּ נְתִיבָתִי, בְּאֹֽרַח זוּ אֲהַלֵּךְ טָמְנוּ פַח לִי׃ הַבֵּיט יָמִין וּרְאֵה וְאֵין לִי מַכִּיר, אָבַד מָנוֹס מִמֶּֽנִּי אֵין דּוֹרֵשׁ לְנַפְשִׁי׃ זָעַקְתִּי אֵלֶֽיךָ יְהוָה אָמַֽרְתִּי אַתָּה מַחְסִי, חֶלְקִי בְּאֶֽרֶץ הַחַיִּֽים׃ הַקְשִֽׁיבָה אֶל רִנָּתִי כִּי דַלּֽוֹתִי מְאֹד, הַצִּילֵֽנִי מֵרֹדְפַי כִּי אָמְצוּ מִמֶּֽנִּי׃ הוֹצִֽיאָה מִמַּסְגֵּר נַפְשִׁי לְהוֹדוֹת אֶת שְׁמֶֽךָ, בִּי יַכְתִּֽרוּ צַדִּיקִים כִּי תִגְמֹל עָלָי׃

Psalm 142
1 Ein Weisheitslied Davids, als er in der Höhle war. Ein Gebet. 2 Mit lauter Stimme schrei ich zum Ewigen, laut flehe ich zum Ewigen um Gnade. 3 Ich schütte vor ihm meine Klagen aus, eröffne ihm meine Not. 4 Wenn auch mein Geist in mir verzagt, du kennst meinen Pfad. Auf dem Weg, den ich gehe, legten sie mir Schlingen. 5 Ich blicke nach rechts und schaue aus, doch niemand ist da, der mich beachtet. Mir ist jede Zuflucht genommen, niemand fragt nach meinem Leben. 6 Ewiger, ich schreie zu dir, ich sage: Meine Zuflucht bist du, mein Anteil im Land der Lebenden. 7 Vernimm doch mein Flehen; denn ich bin arm und elend. Meinen Verfolgern entreiß mich; sie sind viel stärker als ich. 8 Führe mich heraus aus dem Kerker, damit ich deinen Namen preise. Die Gerechten scharen sich um mich, weil du mir Gutes tust. (Einheitsübersetzung)

אֵל אֱלֹהֵי הָרוּחוֹת לְכׇל בָּשָׂר: חֽוּשָׁה לְעֶזְרַת מְאוֹת נְעָרוֹת נִיגֶֽרְיָה, תַּלְמִידוֹת חָפוֹת־מִפֶּֽשַׁע, שֶׁנֶּחְטְפוּ מִבֵּיתָן וּמִבָּתֵּי סִפְרֵיהֶן בְּאַכְזָרִיּוּת אֲיוּמָה עַל יְדֵי בְּנֵי עַוְלָה חַסְרֵי כׇּל צֶֽלֶם אֱלֹהִים בְּהִתְנַהֲגוּתָם, בְּכַוָּנָה לְמׇכְרָן לְעַבְדּוּת וּלְעַנּוֹתָן. מוֹשִׁיב יְחִידִים בַּֽיְתָה, מוֹצִיא אֲסִירִים בַּכּוֹשָׁרוֹת, אַל תַּסְתֵּר פָּנֶֽיךָ מֵהֶן וְאַל תִּתְעַלֵּם מִתְּחִנָּתָן. הוֹפַע בַּהֲדַר גְּאוֹן עֻזְּךָ, גְּאָלָן וְהַצִּילָן מִמְּצֻקָּתָן. שְׁלַח לָהֶן אֹֽמֶץ־לֵב וְתִקְוָה, רְפוּאַת הַנֶּֽפֶשׁ וּרְפוּאַת הַגּוּף, וְהַחֲזִירָן בִּמְהֵרָה, בְּרִיאוֹת חֲזָקוֹת וּשְׁלֵמוֹת, לְחֵיק מִשְׁפְּחוֹתֵיהֶן.
בּוֹרֵא עוֹלָם אֲשֶׁר רַחֲמָיו עַל כׇּל מַעֲשָׂיו, שִׂים קֵץ לְטֶרוֹר, עַבְדּוּת, סַֽחַר־נָשִׁים וְנִיצוּל חֲלָשִׁים בָּעוֹלָם וּבָרֵךְ אֶת עוֹלָמְךָ בְּשַׁלְוָה, הַשְׁקֵט וָבֶֽטַח. אַתָּה חוֹנֵן לָאָדָם דַּֽעַת וּמְלַמֵּד לֶאֱנוֹשׁ בִּינָה. הָגֵן עַל כׇּל יַלְדָּה וְיֶֽלֶד, נַעֲרָה וְנַֽעַר, אִשָּׁה וְאִישׁ, שֶׁמִּתְאַמֵּץ לִלְמוֹד, לְהַחְכִּים וּלְהַשְׂכִּיל. תֵּן שָׁלוֹם בָּעוֹלָם וְנִשְׁכַּב לְלֹא מַחֲרִיד, תַּשְׁבִּית חַיָּה רָעָה, וְחֶֽרֶב תַּעֲבִיר כָּלִיל, וְנֹאמַר אָמֵן.

Gott aller Seelen: In großer Sorge beten wir um die Errettung der vielen hundert nigerianischen jungen Mädchen, unschuldige Schülerinnen, welche in einem großen Akt der Grausamkeit von seelenlosen Verbrechern aus ihren Häusern und aus ihren Schulen entführt wurden, um sie in die Sklaverei zu verkaufen und sie zu quälen. Ewiger, der Du die Einsamen nach Hause zurückbringst und die Gefangenen herausführst, wenden Dein Angesicht nicht ab von ihnen, verschließe Deine Ohren nicht vor ihrem Wehklagen. Zeige Dich in Deiner Pracht und der Herrlichkeit Deiner Macht; befreie und erlöse sie aus ihrem Horror. Gib ihnen Kraft und Hoffnung, eine schnelle Heilung ihrer Seelen und Körper, und bringe sie schnell, gesund und wohlbehalten, zurück in den Schoß ihrer Familien.
Schöpfer der Welt, dessen Gnade über all seinen Werken ruht, setze allem Terror, aller Sklaverei und Menschenhandel, aller Ausbeutung von Schwächeren in dieser Welt ein Ende und segne Deine Welt mit Frieden, in Stille und Sicherheit. Du zeichnest den Menschen mit Verstand aus und lehrst dem Sterblichen Einsicht. Halte Dein Schutzschild über alle Mädchen und Jungen, alle Frauen und Männer, damit sie durch Wissen und Bildung weiter wachsen werden können.
Gib der Welt Frieden, damit wir uns ohne Angst niederlegen können und schaffe hinfort die wilden Tiere und verbirg das Schwert für alle Zeiten. Und so lasst uns sprechen: Amen!

Rabbi Hillel Lavery-Yisraëli
Jüdische Gemeinde Göteborg, Schweden
Übersetzung von Rabbiner Adrian Michael Schell
Jüdische Gemeinde Hameln, Deutschland

Hier das englische Original und die arabische und deutsche Übersetzung herunterladen:

Nigeria Arabic

Nigeria Eng

Nigeria Deutsch

Hier eine PDF  der deutschen Fassung laden: Prayer-Gebet Nigeria – DE

In jedem Menschen steckt das Potential, ein Messias zu sein

Dieser Schabbat ist in der jüdischen Tradition ein besonderer Schabbat. Er wird Schabbat Ha-Gadol, der große Schabbat genannt und ist der Schabbat, der direkt vor Pessach gefeiert wird. Von der Liturgie, also der Art, wie wir den Schabbat feiern, unterscheidet ihn eigentlich nichts von anderen Schabbatot. Nur die Haftarah, also die Lesung nach der Tora ist anders.

Am Schabbat Hagadol lesen wir als Haftarah einen Abschnitt aus dem Prophetenbuch MALEACHI. Es ist ein wunderbarer Abschnitt, der von der besonderen Beziehung von uns Juden mit Gott spricht. Der Abschnitt spricht von einer besonderen Zukunft, einer, in der die Welt gerechter sein wird und wir Juden nicht mehr unterdrückt und verfolgt werden. Am Ende kündigt der Autor das kommen des Propheten Elijahu an, der diese besondere Zeit einläuten wird.

Genau auf diese Stelle werden wir uns auch am Montagabend, während des Pessachseders zurück kommen, wenn wir für Elijahu ein Glas eingießen und ein Gebet sprechen, dass Elijahu bald kommen möge. Wie zu jedem Schabbat-Ausgang auch, werden wir Gott freundlich an dieses Versprechen erinnern und bitten, dass wir, also unsere Generation, die messanische Zeit erleben darf.

An Pessach erinnern wir daran, dass Gott schon einmal das Schreien und Flehen der Israeliten gehört und sein Volk, also unsere Vorfahren aus der Unterdrückung befreit hat. Also eine besondere Zeit in unserer Geschichte eingeleitet hat. Pessach ist das Fest der Freiheit und mit der Lesung der Haftarah drücken wir unsere Hoffnung aus, dass auch das kommende Pessach wieder zu einem Fest der Freiheit wird.

Ihr habt sicher schon alle einmal den Spruch gehört, dass alle jüdischen Eltern bei der Geburt ihres Kindes hoffen (und denken), dass ihr Kind der zukünftige Messias sein wird. Ich bin der Meinung, dass alle Eltern recht haben, denn in jedem Menschen steckt das Potential, ein Messias zu sein, also ein Mensch zu sein, der dazu beiträgt, dass die Welt besser sein wird.

Wenn wir am Montagabend den Beginn von Pessach feiern, dann sollen wir uns erinnern, dass wir Juden zum ersten Pessach in Ägypten ein großartiges Geschenk erhalten haben: Wir haben unsere Freiheit erhalten. Wir können und müssen unsere Zukunft selbst gestalten. Die Haftarah spricht von einer gerechten Welt. Die Haftarah ist aber auch sehr deutlich und sagt, dass nur dann Elijahu kommen kann, wenn wir uns an die Gebote Gottes halten, also unsererseits gerecht handeln. Das ist unser Teil, in unserer Partnerschaft mit Gott und unsere Verantwortung, die wir mit der Freiheit in Ägypten erhalten haben. Verhalten wir uns ethisch, ist auch die messianische Zeit keine Utopie mehr.

Schabbat Schalom und Chag Pessach Sameach

 

Schabbat Zav: Es liegt buchstäblich in unseren Händen

Der Wochenabschnitt in dieser Woche ist inhaltlich eine Fortsetzung des letzten Wochenabschnitts. Er führt die Anleitungen zu den Opfern fort und erklärt genau, welche weiteren Opferarten es gibt und wie sie dargebracht werden sollen. Am Ende folgt, nach den theoretischen Unterweisungen, der nächste wichtige Schritt, auf dem Weg zur Errichtung der neuen Gottesdienstordnung. Aaron und seine Söhne werden von Mosche „ordiniert“. In der einzigartigen Zeremonie werden die neuen Priester vor das ganze Volk gestellt und in die neuen Kleider gehüllt. Aaron erhält das Brustschild, die Krone und die URIM und TURIM – die Orakelsteine.

Der nächste Schritt ist die Salbung mit Öl. Daher kommt übrigens das Wort Meschiach – Messias. Es bedeutet salben oder im übertragenen Sinne “der Gesalbte”.

Der Wochenabschnitt erwähnt ebenfalls ein wichtige Speisevorschrift, die vielen Juden bis heute wichtig ist:

Lev 7.26 Ihr sollt auch kein Blut essen, weder vom Vieh noch von Vögeln, überall, wo ihr wohnt.
Lev 7.26 Где бы вы ни жили, не ешьте кровь ни птиц, ни животных.

Wir leiten von diesem Vers ab, dass Fleisch geschächtet werden muss, damit es „Koscher“ ist. Aber woher kommt diese besondere Aufmerksamkeit für das Blut? Die meisten Kommentatoren stimmen darüber überein, dass es zwei Gründe für das biblische Verbot gibt:

Der erste hat etwas mit der Verwendung von Blut in anderen Kulten der damaligen Zeit zu tun. In diesen Kulten wurde Blut zum Beispiel verzehrt (getrunken), da man glaubte, dass man dadurch die Kraft und Stärke der Tiere übernehmen würde und von Krankheiten geheilt werden könnte. Oftmals gab es noch eine weite Komponente, nämlich die, dass man mit den Blutopfern die Götter beruhigen bzw. bestechen wollte. Daher waren in diesen Kulten auch Menschenopfer keine Seltenheit.

Die zweite Erklärung besagt, dass das Blut der Sitz der Seele eines jeden Lebewesens ist. Während wir Menschen zwar Fleisch in bestimmten Maßen essen dürfen, bleibt das Blut tabu, weil die Seele einzig und alleine Gott gehöre.

Irgendwo zwischen den beiden Argumenten liegt die Erklärung von Nachmanides (Nachmanides war ein jüdischer Arzt, Rabbiner, Philosoph und Dichter aus Katalonien 1194-1270). Er glaubte, dass der Verzehr von tierischem Blut uns animalischer machen würde, also dass wir uns dadurch weniger menschlich und ethisch verhalten würden.

Auch wenn ich Nachmanides nicht in dem Punkt zustimmen würde, dass wir durch den Verzehr von Blut irgendwelche tierischen Eigenschaften annehmen, so sehe ich aber, dass die Vorschrift etwas mit Ethik zu tun hat und der Art, wie wir mit unserer Umwelt umgehen sollen.

Das vergießen von Blut ist oft gleichbedeutet mit dem Tod des Tieres oder eines Menschens. Wenn wir nun dem Blut von Tieren eine besondere Beachtung schenken, führen wir uns sehr eindrucksvoll vor Augen, dass wir Tiere töten, wenn wir sie verzehren wollen. Die Tora verbietet Blut zu essen, da es einen „heiligen“ Bestandteil in sich trägt, der Leben ermöglicht – die Seele –.

Das Schächten ist ein aufwendiger Vorgang. Man kann Tiere nicht in einer Nebensache töten. Auch wenn die Meisten von uns heute nicht mehr mitbekommen, wie ein Tier geschlachtet wird und viel zu häufig Fleisch, auch wenn es Koscher geschlachtet wird, noch lange nicht garantiert, dass die Tiere mit Würde behandelt wurden, können wir trotzdem aus diesem kleinen Gebot etwas für uns ableiten: Es liegt buchstäblich in unseren Händen, was wir essen. Wir können bewusst Essen einkaufen. Zum Beispiel Fleisch von kleinen Bauern, die ihre Tiere nicht in Tierfabriken großziehen. Früchte, die nicht zweimal um die Erde geflogen wurden, bis sie in unseren Supermärkten landen und andere Lebensmittel, von dem wir wissen, dass auch die einfachen Arbeiter in der Landwirtschaft ordentlich bezahlt wurden. Es gibt diese Dinge und sie sind oft nicht teurer als andere Lebensmittel. So kann jeder von uns einen Beitrag leisten und für sich selbst den alten biblischen Gesetzen eine ganz moderne Bedeutung geben.

Schabbat Schalom

Hoffung und Trost – Drascha zum Schabbat Schuwa

Diesen Schabbat lasen wir den vorletzten Wochenabschnitt im Jahreslauf der Toralesungen. Die Parascha “Ha’asinu” ist das letzte Gebet, dass Moses vor der Gemeinde Israels spricht. In den Versen des Gebets erklärt Moses noch einmal, dass Gott perfekt und gerecht ist. Gott, so Moses ist “niemals falsch”, sondern immer “wahr und geradlinig”. Ein letztes Mal warnt der Moses davor, nicht Ehrlich gegenüber Gott zu sein und er mahnt die Kinder Israels, sich ihrer Geschichte zu erinnern und sie an die nächsten Generationen weiterzugeben.
Die dazu gehörige Haftara, die auch diesem Schabbat seinen Namen gibt, enthält die prophetischen Mahnung: Kehre um Israel – macht Teschuva.

Beide Texte helfen uns, dem Schabbat zwischen Rosch HaSchana und Jom Kippur eine besondere Bedeutung zu geben. Entsprechend der jüdischen Tradition sind die 10 Tage zwischen Rosch Ha Schana und Jom Kippur ganz besondere Tage. An ihnen ist unsere Beziehung mit Gott auf einer anderen Ebene. Wir sind – wenn wir es wollen – Gott näher. Es ist die Zeit – wie ich schon erklärt habe – Bilanz zu ziehen. Nicht nur das Negative, sondern auch das Positive können wir Gott vortragen.

Und hier genau greift die Botschaft unserer biblischen Texte. Bilanz ziehen bedeutet immer, in die Vergangenheit zurückzukehren. Die 10 Tage sollen eine Art Reise durch das letzte Jahr sein. Vor unserem inneren Auge kehren wir zurück zu den Ereignissen, die uns dieses Jahr geprägt haben. Momente, die schön waren, die einmalig waren, die uns Angst gemacht haben und Ereignisse, zu denen wir uns vielleicht anders hätten verhalten können oder müssen. Das ist die Ehrlichkeit, die Moses einfordert. Lasst mich die Worte Moses dahingehend erweitern, dass wir zunächst ehrlich gegenüber uns selbst sein müssen. Nur dann können wir auch ehrlich gegenüber Gott sein.

Das ist das Schwerste. Ganz ehrlich. Mir fällt es oft viel schwerer, mir selbst gegenüber ehrlich zu sein, als anderen gegenüber. Viel zu oft erwische ich mich dabei, dass ich das eine oder andere “übersehe”. Oder ich will es so nicht wahrhaben. Habe ich wirklich so gehandelt, habe ich das wirklich gesagt? Oder ich bin zu streng mit mir selbst. Die Maßstäbe, die ich an mich selbst anlege, sind oft nicht ganz fair uns korrekt. “Das schaffst Du nicht!” sagt man zu sich selbst viel zu oft, statt sich selbst mehr zuzutrauen. Oder man nimmt sich zu viel vor, und weiß, dass es besser wäre, etwas weniger zu machen und dafür das andere genießen zu können.

Teschuva, die Rückkehr zu Gott, beginnt mit der Ehrlichkeit gegenüber uns selbst. Wie gesagt, das ist der schwierigste Teil. Alles andere, was dann folgt, wird dann viel viel leichter.
Die Botschaft der Bibel richtet sich aber nicht nur an uns Individuen. Es ist auch eine Botschaft an unsere Gemeinschaft. Wir alle sind gemeinsam verantwortlich für die Geschichte Israels und wie wir die Zukunft für die kommenden Generationen gestalteten. Am Schabbat zwischen den Feiertagen soll uns diese Verantwortung genauso bewusst werden, wie die Verantwortung für uns selbst. Schon der biblische Text spielt damit, dass Israel sowohl der Zweite Name von Jakob ist, als auch der Name des ganzen Volkes. Wir alle sind Israel, d.h. jeder von uns ist Jakob, der mit Gott in einer besonderen Beziehung steht und auch mal mit Gott streitet. Und jeder von uns ist auch das Volk Israel. Israel als Volk braucht jeden einzelnen von uns. Judentum lebt davon, dass jeder einzelne das einbringt, was er oder sie kann. Im Judentum gibt es keinen Papst oder König, der für alle spricht. Jeder einzelne repräsentiert das Judentum, so wie es gerade ist. Das macht es so spannend, so lebendig und vielfältig. Aber es ist auch eine große Verantwortung. Und wenn wir an den Hohen Feiertagen Bilanz ziehen, dann bedeutet es eben auch, dass wir als Gemeinschaft umkehren sollen und schauen müssen, was wir als Gemeinschaft erreicht haben. Was haben wir alle dazu beigetragen, dass diese Welt eine lebenswerte Welt für alle Menschen ist? Welche Grundlagen haben wir gelegt, damit die jüdischen Werte weitergegeben werden können? Wo gibt es Bedarf für Verbesserungen in der Zukunft?

Moses hat in seinem Gebet noch eine weitere wichtige Botschaft, die ich bisher noch nicht erwähnt habe, die aber hier zum Schluss Hoffnung uns Trost geben soll. Gerade weil die Bilanzen, die wir wahrscheinlich alle ziehen werden, oft nicht so positiv ausfallen, wie es wünschenswert wäre, gibt uns Moses noch mit auf den Weg, dass Gott immer an unserer Seite stehen wird. So lange wie wir auf Gott vertrauen und den Ewigen nicht vergessen, so lange wird er uns begleiten. Wir sind Menschen und unsere Bilanzen sind die von normalen Menschen. Wir sind keine Engel oder Übermenschen. Wir machen Fehler, so wie alle Generationen vor uns. Gott ist, um es noch einmal mit den Worten der Tora zu sagen, geradlinig und gerecht. Wir können uns darauf verlassen, dass wir auf unseren Wegen, sowohl in die Vergangenheit, als auch in die Zukunft, niemals alleine sein werden.

Schana Tova v’Gmar Chatima Tova

„Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen“

„Sag mir ein Wort, irgendein Wort, und ich beweise Dir, dass es griechischen Ursprungs ist.“

So lautet einer der Running Gags aus dem Film „My big Fat Greek Wedding“. Gus Portakolos, der Patriarch der Familie der Braut ist davon überzeugt, dass für jedes Wort die Wurzel in der griechischen Sprache gefunden werden kann.

Im Falle einer Bezeichnung für das 5. Buch der Tora – Deuteronomium – hätte Gus Portakolos selbstverständlich Recht. – Aber Gus geht es nicht wirklich um die Richtigkeit seiner Wortabstammungslehre. Ihm liegt nur etwas an seiner griechischen Sprache und deren Beitrag für die weltweite Kultur. Er ist einfach stolz auf sein Griechenland.
Die Bezeichnung Deuteronomium leitet sich, wie gesagt, aus dem Griechischen ab. Das Wort Deuteronomos bedeutet so viel wie „eine zweite Schilderung der Gesetze“, oder“ zweites Gesetz“. Diese Bezeichnung entstammt der Septuaginta und basiert auf dem Tora-Zitat aus dem 5. Buch, Kapitel 17, Vers 18:

‏וְכָתַב לוֹ אֶת־מִשְׁנֵה הַתּוֹרָה הַזֹּאת‎ wə-chatav lo et mischne ha-Tora ha-sot Er soll ihm von dieser Lehre eine Wiederholung schreiben.

Und im Grunde ist es genau das, was Mosche im letzten Teil der Tora macht. Er wiederholt die Gesetze und Gebote und schildert die Ereignisse der letzten 40 Jahre.

Zwei Dinge sind für mich dabei wichtig:

In Bezug auf die Gebote und Gesetze erleben wir etwas sehr Bedeutendes. Es ist nicht mehr Gott, der die Gebote darlegt, es ist der Mensch Mosche, der sie auslegt und interpretiert. In der Tora wird somit die Grundlage für unser progressive Judentum gelegt: Mosche passt die Gebote, die er zuvor von Gott gehört hatte, durch Auslegung an die nächste Generation an. Realitäten, wie z.B. die während der Wüstenwanderung entstandenen neuen Gesellschaftsstrukturen zeichnen sich unter anderem sehr schön in der „zweiten Fassung“ des Dekalogs – der 10 Gebote – ab.

Das zweite, was wir im Buch Devarim – so der hebräische Name für das fünfte Buch der Tora – lesen, sind Mosches lange Schilderungen der Ereignisse seit dem Auszug aus Ägypten. Er, der Zeitzeuge, schildert der nächsten Generation, was geschehen ist. Er tut dies, obwohl die, die ihm zuhören, vermutlicher Weise einen großen Teil selbst miterlebt haben.

Der spanisch-amerikanische Philosoph George Santayana schrieb in seinem Buch The Life of Reason folgenden Satz:

„Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert,
ist verurteilt, sie zu wiederholen”

Doch lange bevor Santayana mit diesem Satz eines der wichtigsten moralischen Gesetze unserer Zeit formulierte, legten die Autoren des Buches Devarim, dies, als eine der Grundlagen im Judentum, für uns fest. Mosche hält die Reden nicht, weil er sich gerne selbst reden hört, oder weil er den Israeliten etwas Neues zu erzählen hat. Er spricht zu den Israeliten (und damit auch zu uns), damit sie und wir uns der Bedeutung der Ereignisse bewusst werden, die stattgefunden haben. Er erinnert uns an die Lebensbedingungen als Sklaven und die Befreiung aus der Sklaverei durch Gott, an die Rebellionen der Israeliten und an die Vergebung durch Gott.

Das was uns das letzte Buch der Tora vor Augen führt, ist ein sehr sorgsamer Umgang mit der Tradition. Es verlangt, dass wir uns an die Vergangenheit erinnern, sie bewahren und zur Grundlage unserer Entscheidungen nehmen. Mehr noch, unsere Geschichte erschafft den Rahmen, innerhalb dessen wir handeln sollen.

ABER, mit denselben Worten erfahren wir auch, dass dies keinen Stillstand bedeutet. Aus den Erfahrungen lernen wir für die Zukunft. Die Gebote und Verbote müssen für jede Generation und durch jede Generation neu ausgelegt werden. Realitäten ändern sich, weil wir uns ändern.

 

  • Aus Sklaven werden freie Menschen,
  • Aus Überlebenden werden Menschen, die die Zukunft gestalten.
  • Aus Kindern wird eine neue Generation.

 

Etwas, das m.E. bis heute seine Gültigkeit und Bedeutung hat.

Vor drei Wochen war ich mit einer Gruppe von Netzer Chanichim in Auschwitz. Wir haben uns vor Ort mit der Vergangenheit auseinandergesetzt – Fragen gestellt, Antworten gesucht.

Ein Fazit dieser Reise ist für uns, dass wir alle mithelfen müssen, an die Verbrechen der Shoa zu erinnernd und das Andenken der Opfer zu bewahren. UND gleichzeitig müssen wir auch die Ereignisse nach 1945, u.a. der Aufbau eines neuen jüdischen Lebens in einem demokratischen Europa, würdigen. Weder das eine, noch das andere darf alleine maßgebend für das sein, was wir als jüdische Gemeinschaft tun.

  • Die Erinnerung an das was geschehen ist,
  • die Erfahrungen der Überlebenden
  • und die Visionen der nächsten Generationen

bilden im Dreiklang den Handlungsspielraum, in dem wir uns bewegen sollten.

Gus Portakolos, unser Protagonist aus dem zitierten Film ist stolz auf sein Griechenland und dessen Beitrag zur Sprachkultur. Ich finde zu Recht. Und so wie er stolz auf das ist, was seine, griechische Sprache beigetragen hat, sollten wir nicht verstecken, was unsere Tradition und unsere Werte zu bieten haben. Nicht von einem überlegenen, unreflektierten Standpunkt aus, sondern im Dialog mit anderen,

  • als eine Gemeinschaft, die zuhören kann;
  • als Menschen, die Werte leben um damit die Zukunft zu gestalten,
  • und als Menschen, die anderen helfen, ihren eigenen Weg zu finden, ohne ihnen die eigene Identität abzusprechen.

Das zählt für mich zum Kern des fünften Buches der Tora und bildet die Grundlage für ein weiterhin modernes Judentums.
Schabbat Schalom

Drascha gehalten anläßlich der Jahrestagung der Union progressiver Juden in Deutschland, Schabbat Chazon – Dewarim 5773 (11-14.7.2013)

Drascha für den Wochenabschnitt Emor 5773

Im Rahmen unserer Tora-Lesung befinden wir uns genau in der Mitte der fünf Bücher der Tora. Die Kapitel des letzten Wochenabschnittes und des Wochenabschnittes in dieser Woche werden zusammen als der Heiligkeits-Codex bezeichnet. Ein Codex ist eine Art Gesetzbuch oder eine Sammlung von Geboten und Verboten.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine heilige Schrift wie unsere Bibel auch Vorschriften für die enthält, die zum Beispiel als Priester, für die Religionsausübung zuständig sind. Schließlich soll ja der Gottesdienst „richtig“ ausgeführt werden. Daher ist es auf den ersten Blick auch nicht ungewöhnlich, dass unser Wochenabschnitt mit einer ganzen Reihe von besonderen Anweisungen für die Priester, die Kohanim, beginnt. Um Gott dienen zu können, sollen sie auf ihre Reinheit achten, in ihrem Tun und in der Art, wie sie leben.

Wie gesagt, so eine Vorschrift ist nicht ungewöhnlich. Aber die Tora ist nun mal kein gewöhnlicher Text. Die Besonderheit liegt darin, dass sie nur ein kleiner Teil des sehr ausführlichen Heiligkeits-Codex den eigentlichen Priestern gewidmet ist. Der größte Teil der Vorschriften richtet sich an uns alle, an alle Israeliten, alle Juden und im Grunde genommen an die ganze Menschheit. Die Tora begründet alle Gebote damit, dass der Ewige, unser Gott, heilig (kadosch) ist, und wir, sein Volk, ihm nacheifern sollen.

Die Tora beschränkt die Ausübung der Religion also nicht nur auf einige wenige Menschen. Das heißt, dass nicht nur alleine die Priester dafür zuständig sind, dass das Judentum richtig gelebt und ausgeführt wird. Jeder von uns trägt einen Teil der Verantwortung. Von unseren Vorfahren bis zu unseren Kindern und immer weiter. Jede Jüdin und jeder Jude ist Teil des besonderen Bundes mit Gott. Das klingt nach einer großen Verantwortung. Mehr noch, es klingt nach einer Aufgabe, die man nicht schaffen kann. Wer von uns ist schon ein Heiliger?

Die Tora selbst und unsere Auslegungen helfen uns jedoch bei der Bewältigung der Aufgabe und machen zudem deutlich, dass jeder von uns „Heilig“ sein kann. Heilig – ich glaube ich habe schon einmal darüber gesprochen – bedeutet im Judentum zunächst einmal nicht, dass es sich dabei um etwas Einmaliges und Unerreichbares handelt. Im Gegenteil. Heiliges kann etwas sehr Alltägliches sein. Heilige Dinge sind Dinge, die wir Menschen aus unseren alltäglichen Dingen herausnehmen und sie einer besonderen Sache zu widmen. Kadosch (Heilig) bedeutet, dass wir etwas für einen besonderen Zweck oder Moment hernehmen. Oder wiederum anders gesagt, „heilig“ bedeutet, dass wir etwas, das uns selbstverständlich erscheint, aus dem Gewohnten herausnehmen und ein neue Ansicht geben. Etwas “heiligen” bedeutet im Grunde genommen, dass wir mit vollem Bewusstsein und ganzer Absicht etwas Gewöhnliches außergewöhnlich benutzen.

Zu unserem Wochenabschnitt passt als Beispiel die Zeit (der Wochenabschnitt behandelt u.a. die Festzeiten). Zeit ist für uns was ganz gewöhnliches. Abend, Morgen, Mittag, Tage, Wochen, Monate und Jahre. Sie kommen und vergehen. Wenn man nicht aufpasst, fließt die Zeit einfach dahin. Ohne, dass wir sie als etwas Besonderes wahrnehmen. Zeit ist ganz gewöhnlich und normal.

In unserem Wochenabschnitt finden wir aber viele Vorschriften, die unseren Kalender betreffen. Die bekannteste Vorschrift ist das Schabbat-Gebot. Einmal in der Woche ist Schabbat. Ein heiliger Tag in der Woche. Dadurch, dass wir am Freitagabend den Beginn von Schab-bat feiern und jeder von uns in seiner ganz persönlichen Art und Weise Schabbat halten, geben wir der gewöhnlichen Zeit eine neue Bedeutung. Schabbat ist eben nicht ein normaler Wochentag, er ist nicht nur der siebte Tag in der Woche, Schabbat ist Schabbt. Im hebräischen ist es noch viel deutlicher. Montag bis Freitag heißen im Hebräischen einfach erster, zweiter, dritter Tag usw. Nur der Schabbat hat einen eigenen Namen.

Und so ist es mit den Festen im jüdischen Jahr. Pessach, Schawuot und Sukkot, Rosch HaSchana und Jom Kippur – zu allen Feiertagen erinnern wir uns daran, dass es eine be-sondere Zeit ist. Eine heilige Zeit. Zeit, die wir anders verbringen. Zeit, die zu etwas beson-derem wird, weil wir ganz bewusst anders mit ihr umgehen (und sei es nur, weil wir jeman-den eine besondere Email oder einen Brief mit Glückwünschen zu dem Feiertag schreiben, oder weil wir am Samstag für zwei Stunden in die Synagoge kommen und und und).

Heilige Dinge zu tun bedeutet also, dass wir ganz bewusst Dinge ein bisschen anders tun.

Moment, vielleicht ist dies doch ein wenig zu einfach. Nur etwas anders zu machen, macht eine Sache noch nicht heilig. Das wäre zu kurz gegriffen. Martin Buber erklärt Heiligkeit wie folgt: „Die Tora verlangt von uns, Gott zu imitieren“. Anders gesagt bedeutet dies, dass in jedem von uns die Möglichkeit steckt, mehr Göttlichkeit, mehr Heiligkeit in diese Welt zu bringen, in dem er oder sie bewusst handelt. Wir Menschen sollen ETHISCH und MITFÜHLEND auf dieser Erde handeln. Heilig sein bedeutet nicht so sehr, dass Rituale „richtig“ ausgeführt werden, oder dass Gott die Opfer zum richtigen Moment dargebracht werden sollen. Der göttliche Auftrag an jeden von uns bedeutet, dass jeder von uns die Welt um ihn herum achten soll und ihr mit Respekt entgegen tritt. In jedem Menschen steckt die-selbe von Gott gegebene Menschenwürde, die niemand verletzen darf, wie auch in jedem Tier Leben steckt, das geschützt werden muss.

Wenn unser Nachbar nicht mehr nur „ein Nachbar“ ist, sondern ein Mensch mit seiner eige-nen Persönlichkeit, dann entsteht Heiligkeit. Wenn wir am Schabbat zusammenkommen, um gemeinsam Zeit zu verbringen, werden wir zu einer heiligen Gemeinde. Feiertage wie Pes-sach werden erst dann zu heiligen Tagen, wenn wir uns an sie erinnern und die Feiertage als eine besondere Zeit wahrnehmen.
Es gibt kein perfektes Musterbeispiel dafür, wie wir Heiligkeit erreichen können. Der Heilig-keits-Codex, den wir in diesen Wochen studieren, ist wie die gesamte Tora ein Schatz, der von jeder Generation und von jedem einzelnen von uns immer wieder neu entdeckt werden kann und ausgelegt werden muss. Es ist nicht schwer heilige Dinge zu tun. Es ist schwer, nicht zu vergessen, dass man sie tun kann.

Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Bernard J. Bamberger der in seinem Kommentar zu Kedoschim folgendes schreibt:
Zitat: “Die Idee von Heiligkeit besagt …, dass alles was wir tun und was wir aus unserem Leben machen, nicht nur uns als Individuen betrifft, und auch nicht nur unsere Gesellschaft. Es hat auch Konsequenzen auf den ganzen Kosmos. In allem steckt Göttlichkeit. Wir können dem folgen, oder – schlimmer – wir können es ignorieren.” Zitat Ende.

Wir haben die Wahl.

Shabbat Shalom

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