Man muss kein Feminist sein, um in dieser Geschichte große ethische Probleme zu erkennen und man muss auch kein Feminist sein, um Problem mit der Rezeptionsgeschichte zu haben. Ich weiss nicht, welche Bedeutung eine Vergewaltigung einer Frau in jener Zeit hatte. Die Rechtsvorschriften, die die Bibel in Devarim 22:29 vorgibt, lassen - eine Kompensationszahlung an den Vater und die Zwangsehe, aus der sich der Mann nicht Scheidenlassen kann – stark vermuten, dass eine Vergewaltigung einer Jungfrau den Besitz des Vaters schmälerte. Eine „Opferhilfe“ war wohl eher nicht in Sicht. Die Schilderung in der Torah beschreibt die einzige aktive Handlung Dinahs am Anfang der Geschichte: sie ging hinaus, um die Töchter der Stadt zu sehen. Danach wird sie zum Objekt der Begierde und Lockmittel für die Revanche.
Auf Grund dieser Beschreibung scheint es mit nicht verwunderlich, dass wir in der Rezeptionsgeschichte schnell die Schuldzuweisung für die ganze folgende Geschichte auf Dinah vorfinden:
- In Tanchuma, Vayischlach 5 finden wir folgendes: Eine Frau soll sich nicht auf der Straße mit auffälligem Schmuck zeigen. Schmuck wurde der Frau gegeben um sich selbst zu schmücken, in ihrem eigenen Haus, für ihren Ehemann. Es wäre falsch, einen Stolperstein vor einen gerechten Mann zu legen, umso mehr noch, vor Menschen, die auf der Ausschau nach der Möglichkeit sind, zu sündigen. (Q1)
Das bedeutet, weil Dina andere Frauen der Stadt kennenlernen wollte und aus dem Haus gegangen ist, wurde sie vergewaltigt. ....