Heilige Sprache

“In den G-ttesdiensten sind die Gebetsbücher auf Hebräisch und der jeweiligen Landessprache, dennoch werden die Gebete nur auf Hebräisch gesprochen und die Lesungen aus der Torah ebenso. Warum ist das so?“

Manchmal kommt es vor, dass am Ende eines langen Studientages ein Freund, mit dem ich gemeinsam Talmud studiere, zu mir sagt: Komm lass uns den letzten Abschnitt schnell in der „anderen heiligen Sprache lesen“. Er meint damit Englisch. Es gehört schon eine gehörige Portion Chuzpe dazu, Englisch mit Hebräisch gleichzusetzen, oder?

Was mein Freund eigentlich meint, ist, dass es manchmal schon schwer ist, den hebräischen Text zu verstehen und dass es oft sehr schwer ist, sich in Hebräisch auszudrücken. Umso mehr muss dies doch dann auch für Gebete gelten. Für Angelegenheiten, die aus unserem Herzen kommen. Wie soll G’tt mich verstehen, wenn noch nicht mal ich verstehe, was ich sage? Sollten wir nicht daher unsere Gebete in der Sprache sagen, die uns am meisten vertraut ist, unsere Muttersprache?

Die jüdische Antwort hierzu ist ein klares JAIN. Schon in unserer Tradition gibt es Positionen, die dafür sprechen und es gibt selbstverständlich Gegenpositionen und im Laufe der Geschichte wurde mal der einen, mal der anderen Seite der Vorzug gegeben.

Hebräisch war die bevorzugte Sprache für Gebete und wie schon die Frage zu erkennen gibt, ist bis heute Hebräisch in allen Siddurim (Gebetbüchern) die dominierende Sprache. Die Rabbiner des Talmuds lehren wiederholt, dass Hebräisch als die Sprache für unsere Gebete verwendet werden soll. Es ist nicht nur die heilige Sprache, die Sprache der Torah, sondern auch die Sprache, die am besten Gebete auszudrücken mag. „So lehrt R‘ Jonathan, dass es vier Sprachen gibt [die zu seiner Zeit üblich waren]: Latein [die Sprache der Römer] ist die Beste für den Krieg, Griechisch ist am besten für Poesie, Persisch ist am besten für Klagelieder und Hebräisch ist am besten für das Gebet“ (Braude, The Midrash on Psalms, 1:398).

Der Einwand, dass man ja ggf. in Aramäisch beten könne, einer Sprache, die nicht nur über lange Zeit Alltagssprache im biblischen und frühen rabbinischen Judentum war, sondern auch Einzug in unsere Bibel gefunden hat (die biblischen Bücher Daniel, Ezra und Nechemiah sind über weite Teile in aramäischer Sprache verfasst), wird ebenfalls von einigen Rabbinern des Talmuds zurück gewiesen. Rabbi Jochanan lehrt sinngemäß folgendes: Wenn jemand für seine Bedürfnisse in Aramäisch betet, schenken die Boten des Himmels ihm keine Beachtung, da sie die Sprache nicht verstehen und daher nicht mitbekommen, dass es sich um ein Gebet handelt, mit der Folge, dass sie das Gebet nicht an G’tt weiterleiten können. (bSotah 33a)

Diese Extremposition – dass Gebete nur in Hebräisch auszudrücken seien – hat sich jedoch nicht durchgesetzt. Nicht nur, dass zu jeder Zeit Gebete in der jeweiligen Landessprache Einzug gefunden hätten (bestes Beispiel ist das Kaddisch oder das Kol Nidrei, welche beide in aramäisch verfasst sind), sondern die Mischna (Sotah 7) erlaubt, dass sogar das Gebet schlechthin, die Amida (das Achzehnbitten-Gebet) und das Rezitieren des „Schmah Israel“ in „jeder Sprache“ gesagt werden könne.

Mein Rabbiner hier sagt immer, dass wir heute vor einem gewissen Dilemma stehen. Über Generationen hinweg lernten jüdische Kinder die hebräische Sprache und es war kein Problem, in Hebräisch zu beten. Der religiöse Wortschatz war bekannt und es brauchte keine Übersetzungen, die immer problematisch sind, da sie nicht alle Nuancen transportieren können, die ein Wort oder ein Text in der Ausgangssprache mit sich bringt. Heute leben wir jedoch in einer Zeit, in der hebräisch nicht mehr so vertraut ist. Und da unsere G’ttesdienste keine mystischen Ereignisse werden sollen, die nur einige verstehen und die anderen nicht, ist es angebracht, zumindest die Übersetzung in Russisch und/oder Deutsch mit in den Siddur aufzunehmen, bzw. es dem Beter offen zu lassen, seine Gebete in seiner Sprache an G’tt zu richten.

Abschließen möchte ich dieses Mal mit einer Erklärung von Moses Maimonides: Zur Zeit des ersten Exils wurden die Israeliten in alle Himmelsrichtungen verstreut und übernahmen die Sprachen der jeweiligen Länder. Es bestand die Gefahr, dass sich im Laufe der Zeit die Israeliten in mehrere Sprachfamilien zersplittern würden. Daher, so erklärt Maimonides, hat Ezra und seine Synode die Gebete in Hebräisch formuliert. Mit der Formulierung und der Anordnung, die Gebete seinen nur noch in dieser einen Sprache zu sprechen, hat Ezra es ermöglich, dass alle Juden in einer Gemeinschaft beten können. (Mischneh Torah, Laws of Prayer 1,1-5, sinngemäß).

Sprache ist nicht nur ein Kommunikationsmittel zu G’tt (ich bin mir sicher, dass G’tt, der alle Sprachen geschaffen hat, auch alle Sprachen versteht), sondern auch zu unserem Mitmenschen. Es ist wichtig, dass wir in unseren G’ttesdienst, wenn wir gemeinsam beten, eine gemeinsame Sprache finden. Das kann eventuell Russich sein, oder Englisch, oder Deutsch, aber vielleicht doch auch Hebräisch. Wir ermöglichen dann nämlich, auch Gästen, die aus einer anderen Gemeinde kommen, oder vielleicht vom anderen Ende der Welt, dass sie mit uns beten können.

Der Text ist erstmalig auf www.haolam.de am 3.11.2009 erschienen.

1 Comment

  1. Chayim

    wunderschön. Danke

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