der zweite wochenabschnitt meiner studienzeit hieß “re’e”, bzw. “siehe” (die parashat des letzten shabbats) und bildet eine wunderbare brücke zu meinen erfahrungen der zweiten woche hier am machon steinsaltz. es gibt so viel zu sehen und zu entdecken. und meine dozenten zeigen es mir/uns (zusammen mit yael und paul werde ich von derzeit von vier dozenten unterrichtet).
letzte woche begann mit chassidut: die außen- und selbstwahrnehmung des baal shem tov markiert dabei den einstieg. wie hat er seine “erfahrungen” in den wenigen schriftlichen dokumenten beschrieben, die uns vorliegen (“der heilige brief“), wie haben die menschen, die ihn noch gekannt haben, gleiche oder ähnliche ereignisse beschrieben, und was ist daraus innerhalb der chassidischen bewegung entstanden. anhand dieser beispiele soll uns ein profunder einblick in die ideen der chassidischen bewegung gegeben werden. (der historische kontext kommt dabei übrigens nicht zu kurz). es ist wirklich ein faszinierendes thema und für jemanden wie mich, dem die chassidische welt sehr fremd ist, umso mehr. es gibt vieles, was ich für mich entdecke, um es näher kennenlernen zu wollen. ergänzt wird dieser unterricht durch einen zweiten, in dem wir die geschichten des rabbi nachman lesen, zusammen mit den kommentaren von adin steinsaltz.
fast nahtlos geht der unterricht in jüdische philosophie über. derzeit befindet sich mein freund RAMBAM mit seinem „führer für den unschlüssigen“ im ring. er wirft mich mit seinen gedanken von einer zur anderen seite und – ich schieb es jetzt mal auf meine unzureichenden hebräischkenntnisse – schafft es hin- und wieder, dass ich dabei k.o. gehe. der geduld meines dozenten ist es zu verdanken, dass es (zumindest gestern) zu einem versöhnlichen ende gekommen ist und noch nicht einmal ein blaues auge zurückgeblieben ist – vielleicht ein paar verwirrungen :-)).
geprägt wird unser studium hier aber in der hauptsache duch den talmud. mit allen vier dozenten studieren wir über die woche verteilt den gleichen talmud-abschnitt. mit weit geöffneten augen betrete ich dabei eine neue welt für mich. mein talmud-studium war bisher akademisch geprägt. wie kann ich eine these durch ein talmudzitat/-auszug belegen oder wiederlegen. ich denke, dass dieser zugang wichtig ist für die jüdischen studien, die einen grundpfeiler meiner ausbildung ausmachen, aber gleichzeitig verdeckte dieser weg den rabbinischen zugang.
es ist nicht einfach, für den unterricht hier, das mir in fleisch und blut übergegangene denken abzulegen, und mich vor allem in einem zu üben: in geduld. am liebsten würde ich den talmudabschnitt in einem durchlesen und nicht häppchenweise. wie bei einem krimi schon mal die letzte seite lesen, um zu erfahren, ob der held am ende noch lebt. aber alle meine dozenten (ich habe es bei allen probiert) beantworten meine fragen mit “ata zodek, aval salvlanut” , was soviel heisst wie: „die idee/frage hatten schon andere vor dir, die gemara beschäftigt sich noch damit“. und so werde ich fast dazu gezwungen, jedes einzelne wort auf die goldwage zu legen, und SIEHE, die sachverhalte werden klarer und spannender, wenn man sie wendet und wendet (die fragen aber auch). letzen donnerstag (zum wochenschluss) wagte ich den vermessenen vorstoß und behauptete, dass ich den abschnitt nun verstanden hätte und wir – von mir aus – weitermachen könnten. wahrscheinlich genau deshalb begann der dozent mit dem ersten satz der mischna erneut und stellte fragen, die alles, was ich bisher verstanden hatte, auf den kopf stellte. ich werde versuchen, in zukunft rhetorisch geschickter vorzugehen und in talmudischem sprachgebrauch zu formulieren, dass ich interesse daran hätte, einfach mal das blatt rumzudrehen.
der ganze unterricht hier ist in hebräisch. anstelle eines weiteren ulpans sind wir einfach ins wasser geworfen worden und sollen schwimmen. und es geht. natürlich gibt es momente, in denen ich mir denke, dass wahrscheinlich chinesisch einfacher zu verstehen wäre, als das was ich eben gelesen habe oder gehört habe, aber es gibt auch highlights. und ich sehe, wo meine stärken liegen und wo nicht. wenn wir zum beispiel über gebete sprechen und/oder G’ttesdienste ist es, als ob der unterricht in englisch wäre(ist er nicht!). die worte, der inhalt ist mir vertraut. und es macht richtig spass, in einer noch unvertrauten sprache zu diskutieren und neue ebenen zu erreichen.
und wenn es mal wieder so ist, dass ich nichts verstehe, dann räche ich mich und antworte einfach in einem unverständlichen hebräisch. in diesem moment schauen studenten und dozenten gleichsam verzweifelt. ausgleichende gerechtigkeit.