Vor zwei Wochen haben wir mit der Lesung des dritten Buches in der Torah begonnen. Es trägt verschiedene Namen. Im Deutschen sagt man häufig: „das dritte Buch Moses“. Oder Levitikus, in Anspielung auf den Stamm der Leviten, aus dem die Priester abstammten. In der frühen rabbinischen Literatur wurde häufig von der „Lehre der Priester, Torat Cohanim“ gesprochen, da viele der Beschreibungen, Vorschriften und Gesetze sind, die sich direkt an die Priesterschaft richten.

Heute benutzt man in jüdischen Gemeinden normalerweise: Waijkra (und er rief). Es handelt sich hierbei um das erste Wort* des Buches. Mit dieser „Namensgebung“ folgen wir nicht nur der Tradition, die wir anwenden, um alle Bücher der Torah und Wochenabschnitte zu benennen, sondern, wir machen auch deutlich, dass das Buch sich nicht nur an Priester und an Leviten richtet, sondern an uns alle.

Ziel des Buches ist, aus den Israeliten ein heiliges Volk zu formen und es möchte eine besondere Reinheit bewahren, die für alles Heilige von besonderer Bedeutung ist. In dem Buch spiegelt sich wieder, dass G’’tt die Welt in Harmonie geschaffen hat und, dass allem eine göttliche Ordnung zugrunde liegt. Um diese Ordnung zu erhalten, erklären die Gebote und Verbote im 3. Buch Mose, was zu tun ist, wenn Grenzen verletzt wurden. Seien es nun Grenzen, die uns Menschen und unsere Körper betreffen, oder Grenzen in Raum und Zeit. Anders ausgedrückt, Grenzen zwischen Heiligem und Profanen oder zwischen Leben und Tod. Dieses Buch beschreibt, dass jeder, der G’’ttes Ordnung und Harmonie verletzt, sie wieder herstellen kann oder muss. Rituale, inklusive Opferungen, dienen dazu, die Schäden auszuräumen oder zu heilen.

Im Buch Waijkra sind sowohl der Körper einer Person, das Heiligtum und auch die Gesellschaft für sich, jeweils eine eigene kleine heilige Welt. Jede Welt repräsentiert das große Ganze und jede Welt nimmt Einfluss auf das, was um sie herum passiert. Das bedeutet, dass Reinheit und Heiligkeit nicht z.B. nur für den Tempel oder die Synagoge wichtig ist, sondern unser ganzes Leben umfasst, unseren Körper, unser Zuhause, unseren Umgang mit anderen Menschen.

Deswegen finden wir im Buch Waijkra Regelungen über „Essen“ (Kapitel 11), „Beziehungen“ (18 und 20) und „Ethik“ (19), die weit über die Anweisungen hinausgehen, die den Tempelkult betreffen. Auch wenn Priestern eine besondere Rolle zugeschrieben wird, macht der Text deutlich, dass alle Israeliten heilig sein sollen, da G’’tt heilig ist (19.2).

Die ersten Kapitel des Buches geben einen Überblick und beschreiben detailliert die häufigsten Opferungen zu biblischen Zeiten. Zu biblischen Zeiten waren Tieropfer normal. Maimonides argumentiert, dass diese Art von G’’ttesdienst auch den Israeliten in der Wüste geboten wurde, damit sie lernen konnten, G’’tt zu dienen, ohne das Gefühl zu haben, ganz anders als alle andere Nationen zu sein.
Ganz langsam, so Maimonides, lernten die Menschen, dass nicht Tieropfer an sich die Gebote erfüllen, sondern dass Gebete uns Menschen G’’tt näher bringen. Maimonides baute hier eine Brücke zu der eigentlichen Bedeutung des hebräischen Wortes für Opfer auf: „Korban, nahe kommen“.

In Kapitel 1, im zweiten Satz lesen wir:

אָדָ֗ם כִּֽי־יַקְרִ֥יב מִכֶּ֛ם קָרְבָּ֖ן לַֽה‘ מִן־הַבְּהֵמָ֗ה מִן־הַבָּקָר֙ וּמִן־הַצֹּ֔אן תַּקְרִ֖יבוּ אֶת־קָרְבַּנְכֶֽם׃
„Wenn jemand von Euch dem Ewigen zu Ehren ein Opfer darbringen möchte, dann könnt ihr eure Opfer von Vieh entweder vom Rind, oder Kleinvieh darbringen.“ Waijkra 1.2b

Ein Chassidischer Kommentator erklärt diesen Satz wie folgt:

„Wenn jemand von Euch G’’tt KAROV – Nahe kommen möchte, muss er ein Opfer von MIKEM – sich selbst – bringen. Und was ist dieses Opfer? Es ist das Tier in uns selbst, der Teil von uns, der zu Bosheiten gegenüber uns selbst, andern und G’’tt fähig ist.“ (Itturei Torah, IV, p10, 1998)

Das Ritual der Tieropfer steht symbolhaft für unseren Kampf als Menschen – menschlicher, ethischer, G’’ttgefälliger zu werden. Ziel des Buches Waijkra ist es, aus den Israeliten, aus uns Juden, ein heiliges, das heißt ein ethisches Volk zu machen, ein Königreich von Priestern. Wenn wir seine, manchmal sehr trockenen, manchmal auch unangenehmen Abschnitte lesen, können wir in ihnen entdecken, dass wir mit dem, was dort beschrieben wird, und mit dem was unsere Tradition daraus gemacht hat, die Welt ein Stück weiter heilen können.

Quellen (Guttenberg’sche Angaben): Um diesen Text zusammenzustellen habe ich folgende Anregungen, Ideen und einige wichtige Gedankengänge aus den folgenden Büchern entnommen:
The Torah – A Woman’s Commentary, WRJ, URJ Press
Die Tora in jüdischer Auslegung, Plaut, Gütersloher Verlagsanst.
A Torah commentary for our times, Fields, UAHC Press