Shilo – Westbank

Letzten Shabbat habe ich in Shilo verbracht. Shilo ist eine der älteren jüdischen Siedlungen in der Westbank. Geographisch gesehen, liegt dieses kleine Dorf genau in der Mitte dessen, was wahrscheinlich mal das Staatsgebiet eines palästinesischen Staates sein wird.

Ortseingang zu Shilo.
Ortseingang zu Shilo. Shilo ist eine offene Siedlung, d.h. es gibt keinen Zaun oder Mauer um die Stadt

Nach meinen Tour mit Encounter nach Bethlehem, war es mir wichtig, noch vor meiner Rückreise auch einen Shabbat in einem Settelment zu verbringen. Ich wollte wissen, wer diese Menschen sind, die sich entscheiden haben, in diesen Siedlungen zu leben. Wer diese Menschen sind, die immer wieder auf so dramatische oder eindrucksvolle Weise, den Lauf der Politik zu beeinflussen wissen. Als es sich angeboten hat, mit einem neuen Freund, dessen Eltern in Shilo leben, einen Shabbat zu verbringen, habe ich spontan zugesagt.

Eine Unbekannt war damit nämlich eliminiert. Es gab für mich einen direkten Ansprechpartner und ich wusste, wie ich in die Siedlung kommen würde und vor allem wie ich bleiben könnte. Die Siedler sind nämlich sehr wachsam und nur bedingt gastfreundlich. Hinkommen und ein Zelt aufschlagen ist eher – sagen wir mal – unerwünscht.

SamariaMit einem kugelsicheren Bus ging es ab Jerusalem in Richtung Ariel. Mit 12 Scheckel (2,40 Euro) ist die Busfahrt extrem preiswert – erstaunlicherweise sind Fahrten in die Westbank staatlich subventioniert. Zum Vergleich, eine Einmalfahrt innerhalb Jerusalems kostet 6.20 NIS (1,20 €).  Die Fahrt führt aus Jerusalem raus durch eine landschaftlich schöne Gegend. Die Gegend ist fruchtbar und daher schon seit Jahrtausenden besiedelt. Der Bus passiert einige arabische Dörfer und Städte (Ramalla) und hält in einigen Siedlungen bevor man in Shilo ankommt. Ein Blick durch die Reihen der Mitreisenden zeigt eine Mischung aus jungen Menschen inklusive einiger Soldaten, die ebenfalls auf dem Weg nach Hause zu sein scheinen. Ultraorthodoxe, oder “Hutträger” sind eher die Ausnahme. Mann trägt gehäkelte Kippot in unterschiedlichen Größen und Frau ggf. ein Kopftuch. Frauen und Männer sitzen zusammen und die vorherrschende Sprache ist Ivrit.

Synagoge in Shilo
Eine der Synagogen in Shilo hat die Form des Stiftzeltes.

Manchmal ist es erschreckend, wie sehr Vorurteile von der Wirklichkeit geprägt sind. Eines meiner Vorurteile über Siedler war, dass sie immer mit geladenen Waffen rumlaufen. Richtig. Viele tun es. So auch der Vater von meinem Freund, der uns an der Bushaltestelle abgeholt hat: Der freundliche Mensch der uns gegenüber trat hatte natürlich eine Pistole. Nicht irgendwie heimlich, oder verborgen, sondern gut sichtbar. Waffen sind ein Thema, eines über das man(n) gerne redet, eines, bei dem man gerne mit seinem Wissen angibt, und eines was allgegenwärtig ist. Auf der Straße, in den Häuser und ja, auch in der Synagoge sieht man Menschen mit Waffen. Von der Pistole bis zum Maschinengewehr. Gerade in der Synagoge zu Shabbat ein Bild, dass ich mir so nie Vorstellen wollte und das, man mag mich naiv nennen, einfach nicht zusammen passt.

Überaus herzlich und positiv habe ich die Gastfreundschaft meiner Gastfamilie und weiterer Menschen, mit denen ich in Kontakt war, in Erinnerung. Man merkt, dass die Menschen in Shilo eine Gemeinschaft bilden und für einander da sind. Da bei meiner Gastfamilie kein Zimmer frei war, wurde ich spontan bei Nachbarn untergebracht. Und obwohl jene mich während des ganzen Aufenthalts nur für ein paar Minuten gesehen habe, hatten sie kein Problem damit, mich, also einen Unbekannten, im Haus zu haben – jemand der erst Nachts gegen Mitternacht zurück gekommen ist (das Essen am Shabbat Abend war lang und gut)  und am nächsten Tag von 7.30 bis Shabbat Ausgang schon wieder verschwunden war. Das Vertrauen, dass die Nachbarn keinen Verrückten in ihr Haus einladen ist groß.

Tel Shilo
Tel Shilo - hier was über Jahrhunderte das zentrale Heiligtum der Israeliten nach der Landnahme. Auf der rechten Seite des Hügels stand das Mischkan (Stiftszelt)

Das moderne Shilo liegt auf einer Erhebung, die zusammen mit anderen Hügeln ein kleines Tal umfassen, in dessen Mitte eine niedrige Erhebung liegt. Jene kleine Erhebung ist das antike, biblische Shilo. Das erste spirituelle Zentrum Israels nach der Landnahme. Hier stand für über 350 Jahre das Stiftszelt mit der Bundeslade. Hier tanzten die Frauen in Weiß zu Tisha-be-Av. [Mehr zu Shilo hier]. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich die Nähe zu diesen antiken, für die jüdische Geschichte so wichtigen Orte, sehr beeindruckt hat, und, dass das Beten mit Blick auf einen so heiligen Ort (die meisten Forscher sind sich einig das dies der genauen Standpunktes des Stiftszeltes war), eine ganz andere Dimension bekommt. Ja, gerade der nördliche Teil der Westbank, Samaria, hat eine wichtige Bedeutung für Juden und meine persönliche Begegnung mit dem Land macht es für mich verständlicher, warum man auch diese Dimension nicht aus dem Blickfeld verlieren darf, wenn man über politische Lösungen spricht***.

Es mag eine Antwort auf die Frage sein, warum sich einige Familien entschlossen haben, sich in Shilo niederzulassen  (derzeit sind es rund 250-300). Es mögen aber auch die Preise sein, für die man sich hier Grundbesitz erwerben kann, (aber andererseits, darf man nur in Shilo siedlen, wenn die Dorfgemeinschaft dem zugestimmt hat. Ziel ist es, eine ideologisch einheitliche Gruppe zu haben, so mein Eindruck). Letztendlich kann ich es nicht beantworten, was diese Menschen dazu gebracht hat, hierher zu kommen, da wir das Thema bei all unseren Gesprächen geschickt umschifft haben.

Arabische und jüdische Siedlungen, Tür an Tür
Arabische und jüdische Siedlungen, Tür an Tür

Für mich war es eine erste, wichtige Begegnung. Ich habe die Zeit dort genossen, auch wenn ich immer wieder mit vielen widersprüchlichen Gefühlen umgehen musste. Die Schönheit der Landschaft, die Magie der Orte, das scheinbar friedliche zusammenleben von Juden und Arabern (die Orte sind ja nur wenige Kilometer auseinander), und auf der anderen Seite, die Bewaffnung der Menschen, der spürbare Hass auf die Menschen auf der anderen Seite und eine große Einsamkeit (die jüdischen und arabischen Siedlungen liegen zwar nebeneinander, aber die Gräben dazwischen sind scheinbar unüberbrückbar). Ich kann mir nicht vorstellen, hier zu leben, aber ich kann mir vorstellen hierher zurückzukommen, um Menschen wiederzusehen, die mich herzlich willkommen geheißen haben.

*** [Ich glaube weiterhin, dass eine Zweistaaten-Lösung eine politische Lösung des Konfliktes bringen kann, aber der Preis, den alle Juden dafür zahlen, ist hoch. Die Gegend um Shilo ist DAS Kernland des jüdischen Volkes. Es ist wahrscheinlich, dass das Volk Israel aus einem Bergvolk genau aus jener Gegend (mit)entstanden ist. Während viele biblische Erzählungen letztendlich rein religiöse Wahrheiten sind (was ihren Wert NICHT schmälert), ist dies eine Tatsache, die eine historische Wahrheit ihr Eigen nennen darf. Wenn Juden dieses Land verlassen müssen, dann ist das meiner Meinung nach nicht eine Nebensächlichkeit, nicht etwas, dass von unbedeutender Relevanz ist, es ist ein unermesslich hoher Preis, den Juden bereit sein werden, für Frieden zu bezahlen. Der Gegenwert kann daher auch nur Frieden sein. Alles andere wäre eine Niederlage für die Welt.