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Adoption von Kindern

Meine Abschlussarbeit ist nun als eBuch und als gedruckte Version erhältlich:

Die Arbeit diskutiert, welche halachischen, d.h. religionsgesetzlichen Grundlagen im Judentum für Adoptionen gelten. Gibt es überhaupt die Möglichkeit Kinder zu adoptieren und wenn ja, welche Hürden, Beschränkungen und/oder Richtlinien müssen genommen werden.

Was muss man über die Herkunft der Kinder wissen, welchen Einfluss haben die Geburtseltern auf die Adoption und wie frei sind die Adoptiveltern in der Namensgebung?

Welche Rechte und welche Pflichten hat das Kind? Wem gilt das Gebot, seine Eltern zu ehren?

Diskutiert wird auch die Frage, ob eine Adoption die halachische Verpflichtung, Kinder zu zeugen, ersetzen kann.

Das Buch zeigt auf, welche Unterschiede durch die einzelnen Strömungen im Judentum bei Kindesadoptionen gemacht werden, welche Traditionen es gibt, welche historischen Grundlagen vorhanden sind und wie die unterschiedlichen Lösungsansätze bei Problemen aussehen.

Presseschau zur Ordination

Foto: Tobias Barniske

Foto: Tobias Barniske

Ich danke schon mal an dieser Stelle allen Journalisten, Medien und Freunden, die über die Ordination berichten.

Ein schönes Portrait über meine Arbeit in Hameln ist hier zu finden:

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/ausderjuedischenwelt/2072438/

“Neue Rabbiner und Kantoren braucht das Land – Ordinationsfeier in Erfurt”

Der MDR hat ausführlich berichtet. Hier ist die Startseite zur Berichterstattung: http://www.mdr.de/thueringen/mitte-west-thueringen/rabbinerordination100.html

Eine Zusammenfassung der Ereignisse ist hier als Video abrufbar: http://www.mdr.de/tv/programm/video117002.html

Die Jüdische Allgemeine hat hier über die Ordnination berichtet:

Gebet und Gesang

Und hier ist der Bericht von Heide Sobotka in der JA ist hier zu finden: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/15695

Und hier die Tickermeldung der Bild-Zeitung: Bild Berlin

Hier die Meldung in den PNN: http://www.pnn.de/potsdam/740456/

Auf T-Online / Yahoo / Die Welt (dapd) ist folgender Bericht über die Ordination zu finden: http://www.t-online.de/regionales/id_62918606/rabbiner-und-kantoren-des-abraham-geiger-kollegs-in-aemter-berufen.html

und Deutschland today berichtet hier: http://www.dtoday.de/regionen/lokal-nachrichten_artikel,-Besonderes-Ereignis-juedischen-Lebens-weit-ueber-Thueringens-Grenzen-_arid,242805.html

Die Hamelner DEWEZET hat ebenfalls einen kleinen Bericht verfasst: http://www.dewezet.de/portal/startseite_Vom-Buchhaendler-zum-Rabbiner-_arid,518318.html

Und hier der Bericht der TLZ: http://www.tlz.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Erfurt-Renaissance-juedischen-Lebens-in-Deutschland-227625197

Und hier die Pressemitteilung des AGKs zur Ordnination:

Seien Sie unser Gast bei der Ordination in Erfurt:

Das Ereignis in den Medien:

“Neue Rabbiner und Kantoren braucht das Land – Ordinationsfeier in Erfurt”

Ab 14.00 Uhr: als Live-Übertragung
des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR Thüringen) im Internet:

http://www.mdr.de/tv/programm/sendung243888.html

Eine Zusammenfassung der Ereignisse mit dem gleichen Titel sendet der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) in der Sondersendung von 22.05 – 22.25 Uhr im regionalen Fernsehprogramm und danach unter gleicher Web-Adresse im Internet.

Am Mittwoch, den 10. April 2013, werden mit Rabbiner Alexander Nachama und Rabbiner Adrian M. Schell zum fünften Mal Absolventen des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam ordiniert. Daneben werden mit Isidoro Abramowicz und Nikola David auch zwei Kantoren in ihr Amt eingeführt.

Die Ordination findet in der Neuen Synagoge der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen in Erfurt in Anwesenheit zahlreicher Rabbiner und Gemeinderepräsentanten aus dem In- und Ausland statt.

Unter den Ehrengästen wird die Ministerpräsidentin des Freistaats Thüringen, Christine Lieberknecht, sein, die auch die Festansprache hält.

Weitere Festgäste sind:
Aus dem Zentralrat der Juden: Dr. Josef Schuster (Vizepräsident), Mark Dainow und Heinz-Joachim Aris (Präsidium), Rabbiner Dr. Henry Brandt (Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland); aus den Kirchen: Landesbischöfin Ilse Junkermann (Evangelische Kirche Mitteldeutschland), Dr. Christian Stawenow (Regionalbischof Erfurt-Eisenach) und Gregor Arndt (Dompropst Bistum Erfurt); sowie Vertreter des Deutschen Bundestages und der Landtage Thüringen und Brandenburg.

Absolventen des Abraham Geiger Kollegs 2013

Rabbiner:

Alexander Nachama
Ordinationsspruch:
“Sei beherzt und tapfer, zage nicht und sei nicht ängstlich,
denn der Ewige, dein Gott, ist mit dir, überall wohin du gehst.”
(Josua 1,9)

Alexander Nachama, geboren 1983 in Frankfurt am Main, erhielt nach einer Ausbildung zum Kantor 2008 seinen Bachelor in Judaistik (Freie Universität Berlin) und 2013 seinen Master (Universität Potsdam). In seiner Masterarbeit beschäftigte er sich mit dem Anzünden der Schabbatkerzen (Hadlakat Nerot).

Seit November 2012 arbeitet Nachama als Gemeinderabbiner für die Jüdische Gemeinde zu Dresden.

Adrian Michael Schell

Ordinationsspruch:
“Lass deine Hand sein ob dem Manne deiner Rechten,
dem Menschensohn, den du dir stark gemacht”
(Psalm 80,18).

Adrian Michael Schell, geb. 1973 in Frankfurt am Main, ist hauptamtlicher Jugendleiter der Union progressiver Juden in Deutschland. Der gelernte Buchhändler hat vor seinem Studium der Religionswissenschaft und Jüdischen Studien in Potsdam zunächst im Buchhandel und dann beim Deutschen Taschenbuch Verlag in München gearbeitet. In seiner rabbinischen Abschlussarbeit behandelt er die Adoption von Kindern und die dazugehörigen halachischen (religionsrechtlichen) Diskussionen.

Er betreut seit Frühjahr 2012 zusätzlich die Jüdische Gemeinde Hameln, deren Rabbiner er nach seiner Ordination sein wird.

Kantoren:

Isidoro Abramowicz

Investiturspruch:
“Gott, höre mein Gebet, lausche den Sprüchen meines Mundes.”
(Psalm 54,4)

Isidoro Abramowicz wurde 1972 in Buenos Aires geboren. Er studierte Musik an der Universidad Nacional de Buenos Aires in Argentinien, bevor er 2009 seine kantoralen Studien am Abraham Geiger Kolleg und im Masterstudiengang der Jüdischen Studien an der Universität Potsdam aufnahm. Im Rahmen seiner Studien absolvierte er zwei Studienjahre in Israel und studierte am Hebrew Union College in Jerusalem und am Tel Aviv Cantorial Institute, das von Naftali Hershtik geleitet wird. In seiner Masterarbeit zum Thema “Das Frankfurter Kaddisch – Ein liturgischer Kalender” hat sich Abramowicz mit den Kaddischmelodien in der Tradition von Frankfurt am Main beschäftigt – einem Schatz von über fünfzig Melodien für die Liturgie eines ganzen Jahreszyklus. Bis zu diesem Zeitpunkt existierten noch keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu diesem Thema.

Isidoro Abramowicz ist verheiratet und hat eine Tochter.

Nikola David

Investiturspruch:
“Singet dem Ewigen ein neues Lied, denn Wunderbares hat Er vollbracht, Seine Rechte half Ihm, der Arm Seiner Heiligkeit.”
(Psalm 98,1)

Nikola David wurde 1969 in Bela Crkva, Serbien, geboren. An der Musikakademie Novi Sad studierte er Gesang und Musikpädagogik. 1998 kam er mit einem Stipendium der Anni-Eisler-Lehmann-Stiftung nach Deutschland und absolvierte dann am Peter-Cornelius-Konservatorium der Stadt Mainz sein künstlerisches Aufbaustudium. Nikola David nahm 2008 sein Kantorenstudium am Abraham Geiger Kolleg auf. In seiner Bachelorarbeit zum Thema “Die Hymne Adon Olam” hat sich David mit der Bedeutung dieses traditionellen Schlussliedes in der jüdischen Gottesdienstliturgie und mit verschiedenen Vertonungen auseinander gesetzt.

Nikola David befindet sich zur Zeit in Verhandlungen mit der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Eine Pressemappe zur Ordination und Investitur finden Sie auch hier.

Eigene Spuren – Drascha zum Wochenabschnitt Wajeschev

„Wer nur in die Fuß-Abdrücke anderer tritt, hinterlässt keine eigenen Spuren.“

Diesen Satz habe ich letzte Woche in der Fernsehsendung „The Voice of Germany“ von einem jungen, jüdischen Kandidaten gehört.

„Wer nur in die Fuß-Abdrücke anderer tritt, hinterlässt keine eigenen Spuren.“

Was für ein Satz! Was für ein Gedanke! Bis heute denke ich über die Aussage des jungen Mannes nach. Vor allem deshalb, weil der Satz irgendwie auch meine Rolle, unsere Rolle, die wir einnehmen wollen, berührt.
Und was könnte dieser Satz für uns bedeuten, die wir Vorbilder sein sollen und für uns, die wir selbst vielen Vorbildern folgen.

Unser Wochenabschnitt Wajeschev läutet den letzten Abschnitt des ersten Buches der Tora ein. Nach dem Tode Itzchaks würde man erwarten, dass nun ganz der Fokus auf Jakob fällt, der schon die Handlungen der letzten Abschnitte dominierte, aber dem ist nicht so. Jakobs weiteres Leben rückt bis auf wenige Passagen in den Hintergrund. In das Zentrum der weiteren Erzählung rücken Jakobs Söhne, und in besonderer Weise Josef.

Zugegeben, mein heimlicher Held der Tora ist Joseph und ich freue mich immer um diese Jahreszeit von meinem biblischen Vorbild zu lesen. Ich wünsche mir z.B. oft, so ein klares Bild und so ein festes Vertrauen in Gott zu haben wie er. Ich erfreue mich an seiner Lebensfreude und ich bewundere ihn für seinen klaren Kopf. Was würde ich dafür geben, in machen Stresssituationen nicht die Fassung zu verlieren, sondern klar die Situation zu erfassen und gelassen zu reagieren. Vielleicht idealisiere ich Joseph ein wenig. Vorbilder werden leicht idealisiert und ich bin mir eigentlich sicher, dass Joseph nicht in jeder Situation perfekt war und so gelassen, wie ich es aus den restlichen Kapiteln des Buches Bereschit herauslese.
Viel mehr noch, wenn wir genau hinschauen, werden wir Makel an Joseph finden, wie wir sie an jedem Vorbild entdecken und dabei sogar bitter enttäuscht werden.

Immer wieder wurde ich von Vorbildern enttäuscht. Von Rabbinern, Lehrern, Freunden, zu denen ich aufgeschaut habe und die zu einem bestimmten Punkt ihren Glanz verloren haben. Die Tora selbst schult uns darin, unsere Helden auch „nackt“, als fehlerhafte Menschen, zu sehen. Avraham bis Moses, alle sind Vorbilder denen wir folgen sollen und Vorbilder im umgekehrten Sinne. Vorbilder, denen man nicht folgen soll.
Auch Josef enttäuscht. Ausgestattet mit der ganzen Liebe seines Vaters und herausgehoben unter seinen Brüdern handelt er nicht vorbildlich, wie man es von einem Helden erwarten würde. Im Gegenteil, er handelt arrogant und egoistisch. Die Würde, die er von seinem Vater in Form des bunten Gewandes verliehen bekommt, wird zur Bürde für seine Brüder.

Viele Kommentatoren meinen, dass der tiefe Fall, den Josef in seinen jungen Lebensjahren erleben musste, die Jahre der Sklaverei, notwenige Lehrjahre waren. Nur durch die „harte Schule“ konnte aus Joseph ein solch brillanter Denker und Anführer werden.

Ich mag den Gedanken nicht. Ich mag ihn deshalb nicht, weil Strafe und Erniedrigung nie gute Lehrmeister sind. Nein, in niemanden wird schlummerndes Potential entdeckt, wenn wir ihn quälen oder, um es mal nicht so hart auszudrücken, wenn wir ihm Steine in den Weg legen.

In meinem Zitat vom Beginn gibt es ein kleines, aber sehr wichtiges Wort. NUR.

“Wer nur in die Fuß-Abdrücke anderer tritt, hinterlässt keine eigenen Spuren.”

Der junge Mann hat nicht ausgeschlossen, Vorbildern zu folgen, er will es NUR nicht ausschließlich tun.

In Joseph schlummerte mit Sicherheit schon in jungen Jahren ein besonderes Potential, aber ihm nur den Mantel zu geben und zu schauen, was passieren wird, konnte in meinen Augen nur schief gehen. Jakob mag für uns heute ein Vorbild sein, aber ich bin mit seinen Erziehungsmethoden nicht einverstanden.

Jemanden eine Aufgabe zu übertragen und/oder in ihm sein Potential zu wecken, heißt, sie oder ihn in dieser Aufgabe zu begleiten, ihr oder ihm zu helfen, den eigenen Weg zu finden. Und zwar raus aus unseren Fußabdrücken. Einfach abwarten und schauen, was passiert, ist in meinen Augen der falsche Weg.

Aber aufgepasst! Wer will, dass seine Schüler so werden wie er ist, ist in meinen Augen in erster Linie ein Egoist. Kinder, junge Erwachsene, Schüler und Studenten sollen eigene Menschen werden und keine Kopien.

Ich glaube, dass ist es auch, was mich an vielen meiner Vorbilder immer wieder enttäuscht hat. Nicht, dass sie fehlerhaft waren. Sie waren und sind Menschen. Enttäuscht hat mich, wenn sie von mir erwartet haben, ihnen zu folgen, ohne mir den Freiraum zur eigenen Entfaltung zu geben, ohne den Raum zu schaffen, in dem ich ich bleiben konnte.

Von mir – und von uns – erwarte ich, dass wir die Aufgabe als Vorbilder ernst nehmen, denn wir alle sind immer auch Vorbilder. Und ich wünsche mir, dass wir jedem Menschen unser Bestes geben, damit er oder sie den eigenen Weg gehen kann. Wenn diese Menschen dabei eine Weile unseren Fußspuren folgen, ist das Wunderbar. Wir sollten sie aber nach einer Zeit auch ermutigen, ihre eigenen Wege zu finden. Damit auch sie ihre eigenen Spuren hinterlassen können.

Boker Tov

[Dieses Davr Torah habe ich im Rahmen eines Studentenschacharits am Abrahm Geiger Kolleg gehalten, Wochenabschnitt Wajeschev 5772]

Predigtmeditationen

Liebe Leser,

ich kann freudig verkünden, dass ein weiteres Buch erschienen ist, in dem ein Beitrag von mir veröffentlicht wurde.

In diesem Fall handelt es sich um einen Band der Reihe “Predigtmediationen”.

Der genaue Titel lautet:
Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext Plus: Tiqqun olam – Prophetisch predigen
ISBN 978-3-9809932-6-5 (14,80 €)

Mein Beitrag beschäftigt sich mit der Idee einer jüdischen Wirtschaftsethik im Kontext von Tikkun Olam, aufgehängt an einem Zitat aus den Sprüchen Salomons: Spr 22,1-16 “Reich und Arm begegnen einander”.

Ich möchte Euch den Band aber nicht nur ans Herz legen, weil er ein paar Worte aus meiner Feder enthält, sondern weil er sehr viele interessante Beiträge von jüdischen und christlichen Autoren im PLUS-Teil zum Thema “Tikkun Olam” enthält. Spannend ist für mich (und jetzt meine ich den Religionswissenschaftler in mir) auch der Rest des Buches: Predigtideen und -Hilfen für Pfarrerinnen und Pfarrer. Christliche Textauslegung ist durchaus spannend, auch für den jüdischen Prediger :-).

Ma Tovu Ohaleicha Yaakov? – Sind unsere Zelte noch so schön? Drascha zu Balak

23.7 Da begann er [Biliam] seinen Spruch und sprach: Aus Aram hat Balak mich hergeführt, von den Bergen des Ostens der König von Moab: Komm, verfluche mir Jakob! Ja, komm und verwünsche Israel!
8 Wie soll ich verfluchen, wen Gott nicht verflucht, und wie verwünschen, wen der EWIGE nicht verwünscht hat?
9 Denn vom Gipfel der Felsen sehe ich es, und von den Höhen herab schaue ich es; siehe, ein Volk, das abgesondert wohnt und sich nicht zu den Nationen rechnet.

24.2 Und Bileam erhob seine Augen und sah Israel, gelagert nach seinen Stämmen; und der Geist Gottes kam über ihn.
24.3 Und er begann seinen Spruch und sprach: Es spricht Bileam, der Sohn Beors, und es spricht der Mann mit geöffnetem Auge.
4 Es spricht, der die Worte Gottes hört, der ein Gesicht des Allmächtigen sieht, der niederfällt mit enthüllten Augen:
5 Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, Israel!
6 Wie Täler breiten sie sich aus, wie Gärten am Strom, wie Aloebäume, die der Ewige gepflanzt hat, wie Zedern am Wasser.

9 Die, die dich segnen, sind gesegnet, und die dich verfluchen, sind verflucht!

 

מה־טבו אהליך יעקב משכנתיך ישראל׃

Ihr kennt alle diesen Satz aus unserem Wochenabschnitt.
Stellt Euch nun, für die nächsten paar Minuten, vor, der Satz würde nicht mit einem Ausrufezeichen enden, sondern mit einem Fragezeichen.

Wie schön sind Deine Zelte Jaakov?

Wie schön sind Deine Wohnstätten Israel?

–  Denkt Ihr, Biliam würde seinen Segen auch heute noch so sprechen?

– Sind  unsere Zelte noch genauso schön wie einst?

– Werden wir den Ansprüchen und Beschreibungen Biliams in den vier Segenssprüchen aus unserem Wochenabschnitt noch gerecht?

– Oder müssten die Orakel umgeschrieben werden?

– Sind wir nicht längst weiter gezogen?

– Haben wir nicht längst neue Zelte gebaut, anders und an anderen Orten?

– Wie würde Biliam uns heute sehen?

– Und was würden wir uns wünschen, wie er uns sehen soll?

Welche Zukunft soll Biliam uns, den Kindeskindern Israels, bescheinigen?

Um klarer zu werden, lasst mich die Frage noch einmal ein wenig anders formulieren:

– Wie verstehen wir unser Judentum heute?

– Was ist es, dass uns zu liberalen, progressiven Jüdinnen und Juden macht?

– Wie sehen wir uns?

– Und wie wollen wir von anderen wahrgenommen werden?

Welche Visionen haben wir für unsere Zukunft?

Siehe, ein Volk, das abgesondert wohnt und sich nicht zu den Nationen rechnet.

So beschreibt Biliam das Erscheinungsbild unserer Vorfahren in ihrer Welt. Jüdische Kommentatoren sahen durch die Jahrhunderte hinweg einen großen Vorteil in dieser Zurückgezogenheit. Sie half uns, so die Rabbinen, unsere eigene Identität zu wahren. Es bewahrte uns davor, unterzugehen. Die Abgeschiedenheit schütze unsere Unabhängigkeit.

– Sehen wir! uns noch an diesem Ort?

– Ist Abgeschiedenheit ein Modell für uns heute, im hier und jetzt?

– Ein Judentum, das getrennt von anderen Religionen ist?

– Sollen wir als Jüdinnen und Juden getrennt von allen anderen „Nationen“ leben?

– Im Städtl, im Ghetto oder Bnei Barak?

Ist es wirklich das, was wir wollen?

Ich denke nein! Ganz im Gegenteil! Als liberale Jüdinnen und Juden glauben wir an den Dialog, an die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Jung und Jüdisch in Berlin steht in einem wunderbaren Dialog mit einer muslimischen Gemeinde hier in Berlin und mit Muslimen aus ganz Deutschland. Die meisten von Euch sind Teil der jüdisch-christlichen Gesellschaften – nicht ohne Grund. In alle Synagogen laden wir Schulklassen ein, zum einander kennenlernen. Wir tragen Tag für Tag dazu bei, dass die Distanz zwischen uns und „den anderen“ kleiner und kleiner wird.

Ich bin davon überzeugt, dass wir durch diese Haltung viel Gewinnen. Mehr als wir jemals verlieren können. Die Angst der Rabbinen, dass wir unsere Identität verlieren, wenn wir unter den Völkern leben, teile ich nicht. Wir können sie stärken, weil wir durch den anderen viel mehr von uns selbst sehen können. Biliam, der Visionär, der Seher von Außerhalb konnte die Größe Israels beschreiben, während die Israeliten damit beschäftigt waren, über ihre eigene Führerschaft zu streiten und über ihre Vergangenheit nachzudenken.

In meiner Vision eines neuen Biliam-Segens spricht Biliam nicht mehr von einem Volk, dass abgesondert von den Nationen lebt, sondern er preist ein Volk, das in mitten der anderen lebt. Offen für Lob und auch für Kritik von anderen. Ein Judentum, dass nicht nur bereit ist, zu kämpfen, sondern auch selbst zu loben und zu segnen.

 Und Bileam erhob seine Augen und sah Israel, gelagert nach seinen Stämmen;

Der Ausspruch Biliams, dass die Kinder Israels Stamm für Stamm, siedeln, interpretiert der Midrasch und später der Talmud in Baba Batra 60a nicht nur als Stamm für Stamm, sondern als von einander abgewandt. Diese Abgewandheit ist nach Meinung der Rabbinen die Grundlage für Modesty, Zinut, Zurückhaltung. Ein Ausdruck von Respekt vor der Privatsphäre des anderen.

Auch diese Aussagen möchte ich mit einem Fragezeichen versehen:

– Wie stehen wir als liberale Juden dazu?

– Wie wollen wir unsere Zelte unter Klal Israel aufschlagen?

Was wird einst Biliam sagen, wenn er uns heute von seinem Hügel aus beobachtet? 

– Sieht er uns hinter hohen Mauern, die uns vor den Blicken der anderen Schützen, oder sieht er, dass wir die Mauern einreißen, um den anderen wieder sehen zu können?

– Ist es nicht so, dass wir vor lauter falschen Bescheidenheit uns selbst soweit von einander entfernt haben, dass wir den anderen nicht mehr sehen können?

-Haben wir nicht manchmal mehr negative Vorbehalte vor den anderen Strömungen im Judentum, als freundschaftliche und familiäre?

Ist es nicht manchmal so, dass die Angst, falsch verstanden zu werden, uns abhält als jüdische Gemeinschaft gegen Unterdrückung, Benachteiligung und Ungerechtigkeiten einzutreten?

– Sollte uns nicht zum Beispiel die große Armut unter den ultraorthodoxen Gemeinden genauso umtreiben, wie die Benachteiligung von progressiven Gemeinden in Israel?

– Wie Positionieren wir uns in der zunehmend Anti-Türkischen Stimmung in Deutschland?

Wir als liberale Juden sind auf einem gutem Weg. Wir schauen nicht weg und wir dürfen es auch nicht, denn es ist an der Zeit, dass wir in unseren Zelte von damals, neue Fenster und Türen einfügen. Wir müssen sehen was um uns herum passiert.

Biliams erster Segen endet damit, dass derjenige, der Israel segnet, gesegnet sein wird. In meiner Vision einer neuen Biliamsrede, werden wir als ein Volk beschrieben, dass den ersten Schritt macht. Indem wir Segen bringen, erhalten wir unseren Segen. By blessing the other, we will be blessed.

Wie Täler breiten sie sich aus, wie Gärten am Strom, wie Aloebäume, die der Ewige gepflanzt hat, wie Zedern am Wasser.

Vor kurzem wurde mir von einem orthodoxen Juden vorgeworfen, Reformjudentum sei „nur“ Ethik. Er fragte, ob wir noch Gott sehen? Wo sei die Bescheidenheit, Zinut, Zurückhaltung? Wo der Gehorsam gegenüber Gott? Wo die Rote Kuh, die wir opfern sollen, ohne zu verstehen warum?

– Ganz ehrlich? Ist das wirklich eine Anschuldigung, oder nicht doch eher ein Kompliment?

– Sagt nicht das Kleingedruckte  in unserem Partnerschaftsvertrag mit Gott, dass ethisches Denken und Handeln im Vordergrund stehen sollte?

– Ist nicht das, was wir als liberale Jüdinnen und Juden zu unserer Welt beitragen können so wichtig, dass zu viel Bescheidenheit und Zurückhaltung mehr behindern als befördern?

– Ist nicht eine Welt, die ethisches Handeln NICHT als Gottesdienst versteht, eine Welt, in der sich Menschen voneinander entfernen, anstatt aufeinander zuzugehen.

Tikkun Olam ist nicht ein Gottesersatz für uns. TikkunOlam ist unser Ausdruck unserer Liebe zu Gott und zu unserer Umwelt. Gott zu dienen endet nicht mit der Frage was wir anziehen oder wie oft wir beten. Gott zu dienen ist ein ständiger Dialog zwischen uns und dem anderen. Es endet nie und es ist selten wirklich leise.

Wir liberale Juden verstehen den prophetischen Ausspruch, ein Licht für die Völker zu sein (Jes 49.6), nicht als elitäre Aussonderung, sondern als eine Aufgabe Gerechtigkeit in diese Welt zu bringen.

Biliams Vision war noch geprägt von einer physischen Stärke, von einem Ausbreiten im Land und auf der Welt, für uns wünsche ich mir, dass unsere Ideen und Gedanken, unsere Träume von einer gerechten und besseren Welt mehr und mehr Platz finden. Und dass wir Kraft finden, sie umzusetzen und für sie einzutreten.

Um zurück zu meinen Fragen vom Anfang zu kommen:
Ja, ich bin davon überzeugt, dass Biliam unsere Zelte auch heute noch als „schön“ bezeichnen würde. Und zwar mit Ausrufezeichen!

Er würde aber den Rest seines Segens anders formulieren.
Er würde hinzufügen,

– dass unsere Zelte ein Teil dieser Welt sind,

– dass sie offene Synagogen sind,

– dass in ihnen Jugendgruppen von Netzer zu finden sind, die sich genauso für soziale Projekte engagieren, wie sie auch ihre jüdische Identität entdecken.

Er würde unsere Zelte als bunt und fröhlich beschreiben,

in denen jede und jeder ihren und seinen Platz finden kann.

Unsere Zelte sind noch nicht perfekt. Manchmal sind wir noch zu sehr abgewandt, zu sehr mit uns selbst beschäftigt. In vielen Dingen sind unsere Wasserläufe noch kleine, kleine Rinnsale. Soziales Engagement, Zedaka, ist im Herzen all’ unserer Gemeinden zu finden, aber manchmal ist das noch zu sehr ein Geheimnis. Wir dürfen ruhig ein wenig mehr offensiv damit umgehen. Wir haben als Juden in Deutschland etwas zu sagen, wir können, wollen und müssen etwas beitragen.

Ich wünsche mir eine Welt, in der Bileam uns Jüdinnen und Juden in der Mitte aller Nationen sieht. Ich wünsche mir ein großes Zelt, offen nach allen Seiten, inklusiv und lebendig. Für Juden und Nichtjuden, liberale und orthodoxe, Frauen, Kinder und Männer. Möge dies auch Gottes Wille sein.

Ken Ihi Ratzon.

Kantorenseminar

Vielen ist es sicher schon bekannt, dass man am Abraham Geiger Kolleg neben einer Rabbinerausbildung auch ein Ausbildungsprogramm zur Kantorin / zum Kantor aufgebaut hat. Der erste Kantor, der das Programm abgeschlossen hat ist Juval Portat, der inzwischen einer Gemeinde in Los Angeles als Chazan dient.

Wer sich für das Ausbildungsprogramm interessiert, kann sich auf der, gerade frisch überarbeiteten Website informieren und ggf. erste Kontakte knüpfen. Die Website enthält zudem Veranstaltungshinweise auf Konzerte, die die Studenten des Kantorenseminars regelmäßig geben.

Hier der Link: http://www.cantorial-school.com/

(Die Website des Kollegs wird übrigens auch gerade überarbeitet. Ich informiere Euch, wenn das kleine Schöpfungswerk getan ist. )

Zurück auf Start

Das neue Semester hat begonnen und damit bin ich wieder zurück in der Uni. Nach über einem Jahr ist es ein ungewöhnliches, aber nicht unangenehmes Gefühl. So sehr ich es genossen habe, mal ein anderes Lernen zu erleben, so sehr freue ich mich auf das geballte Uniwissen, welches wieder auf mich einwirken wird. Mein Kursauwahl verspricht mir aber auch einen sanften Übergang. Schwerpunktmäßig besuche ich in diesem Semester Kurse bei Admiel Kosman, welche sich alle, vor allem über den literarischen Weg, der jüdischen Kultur annähern. Gespannt bin ich auf den Kurs “Israeli Poetry” im kontext jüdischer Orthodoxie. Positiver Nebeneffekt, mein Hebräisch, welches in den vergangenen drei Monaten, die ich nun schon wieder in Berlin bin, sich leider schon wieder in hintere Ecken meines Sprachzentrums verzogen hat, Continue reading

Mini-Beit-Midrasch

VERANSTALTUNGSHINWEIS: 9.7.2010, 9.00 Uhr

Auf der Jahrestagung der Union progressiver Juden in Deutschland (vom 08. Juli – 11. Juli 2010 in Berlin/Spandau) werde ich folgenden Workshop anbieten:

“Das Thema Adoption in der Bibel”
Ein Beit Midrash Workshop

In dem Workshop werden wir zunächst in Kleingruppen (Chevruta) verschiedene Textstellen aus der Bibel lesen und diskutieren und anschließend in einer gemeinsamen Schiur unsere Ideen zusammentragen. Wir werden schauen, ob es in der Bibel Adoptionen gab, welche Vorstellungen die frühen Gesellschaften von Familien hatten und wie sich diese auf die Entwicklung der Halacha ausgewirkt haben.

Der Workshop setzt keine Vorkenntnisse voraus. Alle Texte werden in hebräischer, deutscher und russischer Fassung vorliegen. In den Kleingruppen kann in russischer oder deutscher Sprache gelernt werden. Der Shiur selbst wird in deutscher Sprache sein.

Informationen zur Jahrestagung findet Ihr hier [PDF-Flyer] und [Anmeldung].

CY – Infos zur Conservative Yeshiva in Jerusalem

Mein Studienjahr an der konservativen Jeschiva (Conservative Yeshiva – CY) nähert sich in großen Schritten dem Ende, und so erlaube ich mir, eine erste Bilanz zu ziehen, solange alles noch ganz frisch ist.

Als es vor gut einem Jahr darum ging, einen geeigneten Studienort für mich zu finden, galt es folgende Kriterien zu erfüllen:

  • ein Ort, an dem ich Talmud und jüdische Quellen “traditionell” (d.h. in Chevruta – Kleinstgruppe oder mit eine(r) Partner(in), nicht mit einem akademischen Ansatz, sondern um ihrer Selbstwillen, mit rabbinischen Kommentaren und mit Rabbinern) lernen kann,
  • ein Ort, an dem ich als liberaler Jude voll akzeptiert werde,
  • ein Ort, der die Ausbildung von libreralen Rabbiner/innen unterstützt
  • ein Ort, der die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht nur predigt, sondern auch praktiziert,
  • ein Ort, der Pluralität als eine Bereicherung für das Judentum sieht und nicht umgekehrt.
  • ein Ort, der mich in meiner Ausbildung zum Rabbiner weiterbringt.

Das Studienjahr in Jerusalem gehört zur Rabbinerausbildung am Abraham-Geiger-Kolleg zwingend dazu, und so konnte ich bei der Suche meiner Ausbildungsstätte entsprechend auf die Erfahrungen meiner Vorgängerinnen zurückgreifen, obwohl – und das ist typisch am Kolleg – mein Fall sich von den meiner Kommilitonen unterschied. Die Ausbildung am HUC war nicht möglich, da ich bereits in der Mitte meiner Ausbildung bin und das HUC in Jerusalem nur ein Vollzeitprogramm für Studienanfänger anbietet und sich im wesentlichen auf die akademische Ausbildung konzentriert. Die akademische Ausbildung bekomme ich ja in Potsdam, das Programm für die israelischen Studenten ist nur zwei Tage die Woche, der Rest findet an Universitäten statt. So also nur eine Teillösung (im ersten Semester habe ich einen Tag pro Woche die Kurse des HUC-IL besucht).

Pardes war die Lösung für einen Teil meiner Vorgänger, aber ganz ehrlich hatte ich Probleme mit den orthodoxen Inhalten die dort vermittelt werden. Ich denke, es wäre eine Möglichkeit gewesen, aber mit Sicherheit wäre es keine Liebesheirat gewesen und wir hätten das eine oder andere Mal einen Therapeuten einbeziehen müssen 😉

Der letzte Jahrgang am Kolleg hatte die wunderbare Möglichkeit, dass für ihn ein eigenes Programm am Steinsaltz-Institut zusammengestellt wurde. Da ich in meinem Jahrgang aber alleine bin, ergab sich diese Möglichkeit nicht (jedoch fand letzten Sommer ein drei-monatiger Kurs für mich und zwei weitere Geigerstudenten statt).

Ich meine mich zu erinnern, dass R’ Gesa Ederberg mir die CY als Lösung vorgeschlagen hat. Und nach dieser längeren Vorrede will ich mich nun dem zuwenden, warum ich der Meinung bin, dass es – um bei meinen Worten von vorher zu bleiben – eine sehr vernünftige Ehe war:

Mein erster Eindruck von der CY war alleine für sich gesehen umwerfend: Man hat mich mit offenen Armen empfangen. Vom ersten Augenblick begegnete man mir und dem Kolleg mit einer äußerst positiven Einstellung. Ich hatte den Eindruck, da freuen sich Menschen darauf, ihr Wissen weiterzugeben. Viele werden jetzt einwenden, dass dies nun wirklich eine typisch jüdische Haltung sei, worauf ich leider sagen muss, dass dies oft nur dann stimmt, wenn sich Schüler und Lehrer im selben “Rahmen” bewegen. Nicht jede konservative Institution verspürt den Wunsch, Studenten anderer Bewegungen auszubilden und umgekehrt (dies gilt auch für orthodoxen Institutionen). Wie gesagt, die Offenheit gegenüber dem Kolleg und meiner Person  ist mit Sicherheit etwas, dass ich zu den herausragenden Merkmalen der Jeschiva zählen möchte.

Das Angebot an der Jeschiva ist sehr gut. Talmud wird an vier Tagen die Woche in vier verschiedenen Wissensstufen unterrichtet. Vom Einsteigerkurs bis zum Kollel. Wichtig ist zu betonen, dass die CY gegründet wurde, um “nicht professionellen Juden”, d.h. Laien, ein Angebot zur Weiterbildung zu bieten. Auch wenn zunehmend mehr RabbinerstudentInnen die Jeschiva als Ausbildungsstätte für ihr Israeljahr entdecken, bemühen sich die Dozenten darum, in sämtlichen Themenfeldern das Niveau so zu halten, dass die, die ohne jüdisches “Expertenwissen”  kommen, Freude an der Ausbildung finden. Und so findet man neben den Talmudstudien in den verschiedenen Lehrstufen auch viele andere Angebote aufgeteilt in Einführungs- und Advanced-Stufen: Midrasch, Halacha, Bibel.

Die Jeschiva ist ein  Ort, an dem alle Studentinnen ermutigt werden, sich selbst aktiv einzubringen. Beginnend bei den G’ttesdiensten, die in der Regel immer durch Studenten der CY geleitet werden. Ich persönlich habe schnell angefangen, regelmäßig Teile der Tfilah zu leiten, oder aus der Torah zu lesen. G’ttesdienste finden an der Jeschiva 3x täglich (im Sommer nur Schacharit und Mincha) statt, so dass sich genügend Möglichkeiten finden, selbst mal an die Reihe zu kommen (keine Angst, niemand muss, jeder kann). Eine andere Möglichkeit sich einzubringen ist, selbst zu unterrichten. Von Yiddisch bis “Frauen und Halacha”, vom Kippa häkeln bis Torah-Trope, es finden sich unzählige Angebote von Studenten für Studenten.

Bevor ich mich einigen “kritischen” Dingen Punkten zuwende, noch eine Sache, die ich gerne herausstellen möchte: die Jeschiva ist wie eine große JÜDISCHE Familie. Man hat wirklich die Möglichkeit, mal so richtig in jüdisches Leben einzutauchen. Nicht nur gemeinsames Lernen steht auf dem Programm, sondern auch feiern, traurig sein, Schabbat, Feiertage, soziales Engagement, Parties …. Das was viele als amerikanischen Über-Protektionismus abtun (die Sicherheitsemails, das sich Abmelden wenn man länger mal abwesend ist …) zeigt aber auch, dass man Wahrgenommen wird. Die Jeschiva ist klein genug, damit alle Studenten ihre Studenten kennen und als Individuen wahrnimmt. Und die Mitstudenten verfahren gleichsam. Man kümmert sich umeinander.

Bei aller Vielfalt, die die Jeschiva willkommen heißt, ist und bleibt sie doch eine Einrichtung des Konservativen Bewegung. Sie bewegt sich zwar auf der linken Seite, aber immer noch deutlich im Rahmen dessen, was konservatives Judentum ausmacht. Der G’ttesdienst ist zwar egalitär, aber traditionell. Die Auslegung der Halacha modern, aber nicht progressiv. Wer aus einer anderen Strömung kommt muss dies aushalten können. Ich habe dies als Bereicherung für meine eigenen jüdischen Weg empfunden, ich kann aber auch verstehen, dass der eine oder andere  sich hierin nicht wiederfindet und frustriert sich etwas anderes sucht. Ich hatte nicht den Eindruck, dass man versucht, zu missionieren, man möchte sich aber erstens nicht missionieren lassen und b. ist man an der CY stolz auf den eigenen Standpunkt und vertritt den auch deutlich.

Die CY bemüht sich nachdrücklich um Studentinnen und Studenten aus Europa und Staaten, die nicht zu den USA gehören, u.a. mit Stipendien, die großzügig an solche Studenten vergeben werden. Ein Studienjahr kosten einige Tausend USD an Unterrichtsgebühren, die unter anderem durch die Legacy Heritage Foundation übernommen werden. Trotzdem sind 85-90% der Studenten aus den USA, mit der Folge, dass Englisch die alles dominierende Sprache ist. Mit den Studenten aus England hat Hebräisch keine Chance, zu einer Sprache aufzusteigen, in der kommuniziert wird. Auch wenn man die Quellentexte auf hebräisch oder aramäisch liest, besprochen werden sie in englischer Sprache. Obwohl alle Dozenten hebräisch können und Israel direkt um die Jeschiva herum ist, ist die CY eine englische Bubble (Blase), die dafür sorgt, dass sich mein Englisch im Laufe der letzten Monate mehr verbessert hat, als mein Hebräisch.

Es gibt mit Sicherheit noch vieles zu berichten, aber ich denke, dass schon jetzt mein Bericht so lange ist, dass kaum einer ihn bis zu Ende gelesen hat. Informationen zur Jeschiva findet Ihr auf den Websseiten der CY und natürlich könnt Ihr Fragen über die Kommentarfunktion jederzeit an mich richten.

Übrigens: Man kann sich jetzt für das kommenden Studienjahr bewerben. Ich weiss schon, dass mindestens ein Student aus Deutschland da sein wird. Es besteht also schon mal die Möglichkeit für eine kleine deutschsprachige Lerngruppe.

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Siehe (Rückblick auf Woche II)

der zweite wochenabschnitt meiner studienzeit hieß “re’e”, bzw. “siehe” (die parashat des letzten shabbats) und bildet eine wunderbare brücke zu meinen erfahrungen der zweiten woche hier am machon steinsaltz. es gibt so viel zu sehen und zu entdecken. und meine dozenten zeigen es mir/uns (zusammen mit yael und paul werde ich von derzeit von vier dozenten unterrichtet).

Reden mit Händen und Füßen

Reden mit Händen und Füßen

letzte woche begann mit chassidut: die außen- und selbstwahrnehmung des baal shem tov markiert dabei den einstieg. wie hat er seine “erfahrungen” in den wenigen schriftlichen dokumenten beschrieben, die uns vorliegen (“der heilige brief“), wie haben die menschen, die ihn noch gekannt haben, gleiche oder ähnliche ereignisse beschrieben, und was ist daraus innerhalb der chassidischen bewegung entstanden. anhand dieser beispiele soll uns ein profunder einblick in die ideen der chassidischen bewegung gegeben werden. (der historische kontext kommt dabei übrigens nicht zu kurz). es ist wirklich ein faszinierendes thema und für jemanden wie mich, dem die chassidische welt sehr fremd ist, umso mehr. es gibt vieles, was ich für mich entdecke, um es näher kennenlernen zu wollen. ergänzt wird dieser unterricht durch einen zweiten, in dem wir die geschichten des rabbi nachman lesen, zusammen mit den kommentaren von adin steinsaltz.

fast nahtlos geht der unterricht in jüdische philosophie über. derzeit befindet sich mein freund RAMBAM mit seinem „führer für den unschlüssigen“ im ring. er wirft mich mit seinen gedanken von einer zur anderen seite und – ich schieb es jetzt mal auf meine unzureichenden hebräischkenntnisse – schafft es hin- und wieder, dass ich dabei k.o. gehe. der geduld meines dozenten ist es zu verdanken, dass es (zumindest gestern) zu einem versöhnlichen ende gekommen ist und noch nicht einmal ein blaues auge zurückgeblieben ist – vielleicht ein paar verwirrungen :-)).

geprägt wird unser studium hier aber in der hauptsache duch den talmud. mit allen vier dozenten studieren wir über die woche verteilt den gleichen talmud-abschnitt. mit weit geöffneten augen betrete ich dabei eine neue welt für mich. mein talmud-studium war bisher akademisch geprägt. wie kann ich eine these durch ein talmudzitat/-auszug belegen oder wiederlegen. ich denke, dass dieser zugang wichtig ist für die jüdischen studien, die einen grundpfeiler meiner ausbildung ausmachen, aber gleichzeitig verdeckte dieser weg den rabbinischen zugang.

es ist nicht einfach, für den unterricht hier, das mir in fleisch und blut übergegangene denken abzulegen, und mich vor allem in einem zu üben: in geduld. am liebsten würde ich den talmudabschnitt in einem durchlesen und nicht häppchenweise. wie bei einem krimi schon mal die letzte seite lesen, um zu erfahren, ob der held am ende noch lebt. aber alle meine dozenten (ich habe es bei allen probiert) beantworten meine fragen mit “ata zodek, aval salvlanut” , was soviel heisst wie: „die idee/frage hatten schon andere vor dir, die gemara beschäftigt sich noch damit“. und so werde ich fast dazu gezwungen, jedes einzelne wort auf die goldwage zu legen, und SIEHE, die sachverhalte werden klarer und spannender, wenn man sie wendet und wendet (die fragen aber auch). letzen donnerstag (zum wochenschluss) wagte ich den vermessenen vorstoß und behauptete, dass ich den abschnitt nun verstanden hätte und wir – von mir aus – weitermachen könnten. wahrscheinlich genau deshalb begann der dozent mit dem ersten satz der mischna erneut und stellte fragen, die alles, was ich bisher verstanden hatte, auf den kopf stellte. ich werde versuchen, in zukunft rhetorisch geschickter vorzugehen und in talmudischem sprachgebrauch zu formulieren, dass ich interesse daran hätte, einfach mal das blatt rumzudrehen.

der ganze unterricht hier ist in hebräisch. anstelle eines weiteren ulpans sind wir einfach ins wasser geworfen worden und sollen schwimmen. und es geht. natürlich gibt es momente, in denen ich mir denke, dass wahrscheinlich chinesisch einfacher zu verstehen wäre, als das was ich eben gelesen habe oder gehört habe, aber es gibt auch highlights. und ich sehe, wo meine stärken liegen und wo nicht. wenn wir zum beispiel über gebete sprechen und/oder G’ttesdienste ist es, als ob der unterricht in englisch wäre(ist er nicht!). die worte, der inhalt ist mir vertraut. und es macht richtig spass, in einer noch unvertrauten sprache zu diskutieren und neue ebenen zu erreichen.

und wenn es mal wieder so ist, dass ich nichts verstehe, dann räche ich mich und antworte einfach in einem unverständlichen hebräisch. in diesem moment schauen studenten und dozenten gleichsam verzweifelt. ausgleichende gerechtigkeit.

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