ist ein rabbiner ein seelsorger oder nicht? gehört das zu seinen aufgaben?
irgendwie denke ich schon, auch wenn der begriff der seelsorge ein sehr christlich geprägter ist und vielleicht nicht so wirklich auf das judentum zutrifft. ich würde mich der bezeichnung “begleitung” anschließen (definitioshilfe: ich helfe jemanden über die straße, damit er auf der anderen seite seine dinge selbst erledigen kann und gehe nicht für ihn und erledige, was er selbst hätte tun können). es geht nicht um die (abstrakte) sorge um die seele und ihrer erlösung, sondern um den ganzen menschen und seinem weg durch diese welt.

wahrscheinlich werden jetzt viele christliche seelsorger einwenden, dass dies den großteil ihrer tagtäglichen seelsorge ebenfalls beschreibt. sie sind in erster linie für menschen da, die jemanden zum sprechen benötigen, z.b. wenn die kommunikation zu G’tt gerade mal ins stocken geraten ist, oder sie helfen dem hilfesuchenden eigene antworten auf fragen zu finden und mut zu fassen, den nächsten schritt zu unternehmen. wenn seelsorge also in erster linie sich dadurch definieren lässt, dass damit “begleitung von menschen durch die unterschiedlichsten lebenslagen, wie hochzeit, geburt, krankheit und tod” gemeint ist, dann kann sich ruhig auch ein rabbiner “seelsorge” in sein aufgabenheft schreiben.
jedoch: die antworten sind unterschiedlich, so unterschiedlich wie die lebens- und glaubenskonzepte in den religionen selbst. daraus ergibt sich die frage, ob eine cross-over-seelsorge, d.h. wenn sich ein jude an einen pfarrer wendet, oder eine christin an eine rabbinerin oder eine muslima an einen rabbi usw. möglich oder zulässig ist?
zwei beispiele: ein jüdischer mann liegt im krankenhaus und der christliche seelsorger des krankenhauses stattet ihm einen krankenbesuch ab. eine junge muslima schreibt einem rabbiner eine email, in der sie, im grunde ihres herzen sehr religiös, sich beklagt, dass sie den “anschluss an ihre gemeinde verloren hat”.
beim ersten fall schwingt sofort der generalverdacht einer missionierung gegen den christlichen kollegen mit. ehrlich, obwohl dies in den seltensten fällen so ist – ist ein krankenbesuch in erster linie doch ein zeichen dafür, dass der kranke nicht alleine ist, dass man an ihn denkt. dass eventuell jemand da ist, der ein gesprächspartner sein kann. aber wo hört der besucher auf, einfach nur ein mitmensch zu sein und beginnt, ein pfarrer zu sein? an welchem punkt findet eine grenzüberschreitung statt – wann kann oder will der besucher nicht mehr neutral bleiben? wann muss oder kann er als christ nur eine christliche antwort geben? wie ist es um seine glaubwürdigkeit bestellt, wenn er anfängt, “jüdische” antworten zu geben?
ich habe zu wenig erfahrung damit, wie es in deutschen krankenhäusern zugeht, aber ich glaube, dass die meisten professionellen seelsorger hier tatsächlich professionell handeln und eher einen jüdischen oder muslimischen kollegen mit einbeziehen werden, bevor es zu grenzverletzungen kommt, im zweiten beispiel wird es aber nicht mehr so einfach, und er kommt wahrscheinlich viel häufiger vor. gut, das beispiel, dass eine muslima sich an einen rabbiner wendet, ist eventuell doch zu sehr konstruiert, aber nicht undenkbar.
der unterschied zum ersten fall ist, dass die initiative nicht vom rabbiner / pfarrer ausgeht, sondern von der anderen seite. ich werde den verdacht nicht los, dass in den augen vieler, einen rabbiner, pfarrer und imam eine besondere aura umgeben soll, irgend eine annahme, dass er oder sie einen direkteren draht zu G’tt oder Allah haben sollen und deshalb auch fragen zum glauben in jeglicher art und schattierung beantworten können. das glatteis, auf das sich der “geistliche” begeben könnte, ist im grunde schon in unmittelbarer gefahrenzone. zum einem natürlich, dass es doch ein wenig komisch anmutet, wenn glaubensinhalte von glaubensfremden vermittelt werden sollen, zum anderen, und das ist für mich bedeutender, weil die nachhaltigkeit von anfang an nicht gegeben ist und es eher einen hauch von alibi-veranstaltung hat.
das sollte ich erläutern: wenn seelsorge begleitung im weiteren sinne bedeutet, ist diese doch von anfang an schon gestört. die junge frau, die sich an den rabbi, statt an den imam ihrer gemeinde wendet, weiss im grunde, dass sie kaum von ihm in die moschee begleiten werden wird um bei der antwortensuche nach dem gestörten verhältnis zu ihrem glauben hilfreich zu sein. ihre anfrage bekommt den geschmak einer gewissenberuhigung, ohne große anstrengung. man, bzw. frau kann ja dann gegenüber sich und G’tt behaupten, es wurde ja versucht.
ich gebe zu, ein großteil des lebens als gläubiger ist der aufgabe, sich mit dem eigenen glauben auseinander zusetzten, gewidmet. es ist einfach, viel einfacher sogar, mit einem darüber zu sprechen, der nicht zur gleichen religion gehört. da hat man mit den wenigsten widersprüche und aufforderungen zur eigenen aktivität zuu rechnen (und selbst wenn, wer soll es schon kontrollieren), aber langfristig gewinnt man damit nichts.
cross-over verwässert nur und raubt dem eigenen glauben die ernsthaftigkeit. dem fragenden, da er sich eventuell vor unbequemen antworten drückt, und dem antwortenden, da eine “neutrale” seelsorge die aufgabe des eigenen glaubens bedeutet. ein pfarrer, imam und rabbiner kann aber nach definition nicht neutral sein.
in diesem sinne “shabbat shalom”