„Ist es für einen Rabbiner denkbar, bzw. möglich, zusammen mit einem christlichen Geistlichen einen G’ttesdienst zu feiern?“.
Für eine Rabbinerin, für einen Rabbiner ist dies eine enorm wichtige Frage, mit alltäglicher Relevanz: Von meinen zukünftigen Kollegen, und auch aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es regelmäßige Anfragen nach gemeinsamen religiösen Veranstaltungen, G‘ttesdiensten und Zeremonien gibt. Vom Eröffnungsg’ttesdienst für eine Konferenz, bis zum gemeinsamen Friedensgebet während einer politischen Veranstaltung, von der Jugendbegegnung bis zu einer gemischt-religiösen Hochzeit. Es gibt unzählige Veranstaltungen zu denen Rabbinerinnen und Rabbiner eingeladen werden. Aber auch ohne Rabbiner und Priester – allein schon die Begegnung von religiösen Menschen an sich wirft die Frage auf, ob man miteinander beten kann oder soll.
Für ein gemeinsamem G’ttesdienst spricht die Begegnung von Menschen in einer besonderen Atmosphäre. Ich bin davon überzeugt, dass dies die Hauptmotivation für viele gemeinsame „Interfaith“-Veranstaltungen ist. Auch wenn die Begegnung etwas ist, dass ich persönlich sehr hoch schätze und mir in meiner Arbeit sehr wichtig ist, habe ich doch große Probleme mit einem gemeinsamen G’ttesdienst.
Durch das gemeinsame Gebet verlieren wir (und damit meine ich jeden einzelnen Beter) mehr, als wir gewinnen können. Es hat seine Gründe, warum wir nicht alle einer großen Religion angehören, sondern Christen, Muslime oder Juden sind. Wir haben unterschiedliche Ideen von dem wie sich G’tt offenbart, was G’tt ist und was G’tt nicht ist, wir haben unterschiedliche Vorstellungen von Sünde, Erlösung und Leben an sich. Und alle dieses (und vieles mehr) fließt in unsere Gebete mit ein. Es ist Teil unseres Glaubens – unseres religiösen Selbstbewusstsein. Ein gemeinsamer G’ttesdienst zwingt jeden von uns, Teile unseres eigenen Glaubens zugunsten des anderen Aufzugeben, oder wir müssen Dinge übernehmen, die nicht Teil unseres eigenen Glaubens sind. (Das Judentum kennt keine Vorstellung von einem Dreieinigen-G’tt, ohne den aber z.B. der katholische Glaube schwer auskommen kann.) Und diese Differenzen treten nicht erst bei vollen G’ttesdiensten auf, sondern schon bei den vermeintlich wenig problematischen Psalmen. Christen und Juden lesen sie anders und verwenden sie anders im G’ttesdienst.
Der Einwand, man könne ja bei dem einen oder anderen Punkt im G’ttesdienst einfach schweigen, mal kurz innehalten, oder im Kopf sich was anderes denken, ist meiner Ansicht nach genauso Problematisch. Der Glaube an G’tt ist kein Feld für diplomatische Verhandlungen, in dem man versucht, den bestmöglichen Kompromiss zu finden. Wenn wir so verfahren betrügen wir uns, den anderen (unsere Mitbeter) und G’tt.
Dies ist keine generelle Absage an den gemeinsamen Dialog, an ein gemeinsames Miteinander und an eine gemeinsame Gestaltung unserer Zukunft. In meinen Augen ist es sogar das Gegenteil. Es gibt vieles was wir gemeinsam tun können und dringend sollten. Alle großen Religionsgemeinschaften teilen die Idee, dass wir Menschen daran teilhaben sollten, diese Welt besser zu machen, sei es durch die Hilfe für Bedürftige, den Umweltschutz, der Einsatz für Frieden, usw.. Wenn sich Jugendliche während einer Jugendfreizeit begegnen und sich gemeinsam für den Umweltschutz engagieren, oder alte Menschen begleiten, wenn sich eine jüdische und eine muslimische Gemeinde jeden Monat trifft um gemeinsam religiöse Texte zu studieren, wenn sich Katholiken und Juden regelmäßig treffen, um über Werte in unserer Gesellschaft zu diskutieren, dann dienen wir auch G’tt und bleiben trotzdem das was wir sind: Christen, Muslime und Juden.
Kleiner Nachtrag: Meine Überlegungen schließen jedoch nicht Begegnungen aus, in denen jede Gemeinschaft für sich G’ttesdienste feiert und der eine oder der andere Teilnehmer den G’ttesdienst des anderen besucht. Oder wenn eine Gruppe von Christen einem jüdischen G’ttesdienst in einer Synagoge besucht. Man ist in diesem Fall Gast. Der G’ttesdienst bleibt jedoch was er ist und wird nicht verändert.