Es geht um die Identität der Kirche selbst

– weitere jüdische Gedanken zur Karfreitagsfürbitte 

Sowohl auf meinem Blog-Beitrag, in anderen Veröffentlichungen, als auch auf den Beitrag bei Chajm, gab es doch einige Reaktionen, die ich nun gerne etwas ausführlicher kommentieren möchte:

Ein Vorwurf, mit dem ich mich konfrontiert sehe, lautet, dass wir Juden mit unserer Kritik an der neuen Fürbitte, den Katholiken ihren Glauben absprechen würden wollen, dass wir in Ihre Liturgie eingreifen wollen und damit den eingeforderten Respekt selbst nicht aufbringen würden.

Ich denke, dass dies mit nichten so ist. Ich habe großen Respekt vor jedem Glauben und seinen Gläubigen. Es ist nicht mein Glaube, ja – aber ich denke nicht, dass ich irgendjemandem seinen eigenen Weg madig machen will oder muss. Gerade aus diesem Grund denke ich unter anderem, dass es keine gemeinsamen Gebetsverantstaltungen o.ä. geben sollte, da hier der einzelne Gläubige zu viel von seinem eigenen Zugang zu G’tt aufgeben müsste. Jüdische Liturgie taugt nichts für einen christlichen G’ttesdienst und umgekehrt genauso wenig. Selbst das gemeinsame Psalmen-Lesen ist keine Lösung. Wir interpretieren sie viel zu unterschiedlich, ganz davon abgesehen, dass sie für sich gesehen keine Liturgie sind, sondern im jüdischen Kontext erst durch Brachot (Segenssprüche), die sie einklammern zu Gebetstexten werden können. Wenn wir die Grenzen kennen, dann können wir miteinander wesentlich mehr erreichen.

Eine Grenze ist sicher auch, den anderen in Fragen seiner Liturgie zu bevormunden. Gerade die jüdische Geschichte zeigt hundertfach welch schmerzliche Folgen es hat, wenn eine Mehrheitsgesellschaft den eigenen G’ttesdienst reglementiert. Es beginnt im Alterum mit dem Verbot die Tora zu lesen, über diverse Verbote im Mittelalter bis hin zur Zensur einiger Teile des Aleinus (siehe mein Artikel) . Höhepunkt im negativen Sinne war die Shoah.

Aber genau diese Erfahrung macht viele Juden nun so aufmerksam, wenn es um die Karfreitagsfürbitte geht. Es geht um eine Beobachtung, auf die von jüdischer und christlicher Seite aufmerksam gemacht wird. Die Karfreitagsfürbitte ist mit zigfachem Mord und Pogromen in dem kollektiven jüdischen Gedächtnis eingebrannt, sie proklamiert eine – gezielt auf uns gerichtete – Herabsetzung unseres Glaubensweges.

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Nachtrag: Auf Spiegel online ist ein Interview mit Rabbiner Homolka zu lesen, in dem er recht deutlich die jüdische Position um die “Erleuchtung” auf den Punkt bringt:

Spiegel online: Das Christentum ist eine missionarische Religion. Ist es da nicht logisch, dass auch Juden überzeugt werden sollen?
Homolka: Nein, denn die umstrittene Karfreitagsfürbitte lässt die besondere Stellung des Judentums als Gottes Volk völlig außer Acht. Gott hat uns Juden zum “Licht unter den Völkern” berufen, wir haben also sicher nicht die Erleuchtung durch die katholische Kirche nötig. Da vergreift sich die jüngere Schwester schwer im Ton.

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a.danning schreibt in einem Kommentar an mich:

was ich für mich selbe gut ansehe, was mir selber eine freude ist: davon möchte ich anderen weitergeben, dazu drängt es mich; also: christen glauben grundlegend an jesus christus als den retter aller menschen; und dies anderen zu wünschen, für sie zu beten, das ist keineswegs problematisch, diskriminierend, beleidigend, sondern doch nur veständlich: auch für die juden zu beten!

Es ist positiv für mich zu bewerten, dass Ihr Christen für uns betet, aber warum nur, dass wir Christus erkennen mögen? Warum nicht, dass unser Weg gleichfalls in Erfüllung gehen möge, wie es die neues Fassung ausdrückt. Wenn es ein Teil der katholischenn Theologie ist, dass am Ende aller Tage Juden Christus erkennen werden, dass verstehe ich nicht, warum schon jetzt das Herz erleuchtet” werden möge. Kommt dann die messianische Zeit schneller? Ist das Gebet für die Juden im Grunde ein Ausdruck der Sehnsucht nach dem Ende der Zeit und nur wenn alle Juden G’tt in der Weise anerkennen wie Ihr es tut, dann ist es soweit?

Warum diese exklusive Aussonderung des Judentums und dann mit einer negativen Wortwahl. Denn auch wenn es gegenüber der mittelalterlichen Fassung nun nicht mehr um Verblendung geht, so drückt doch ein Herz, das erleuchtet werden muss aus, dass hier ein Zustand vorherrscht, der nicht wünschenswert ist. Nicht , dass für uns gebetet wird, nicht dass für alle Menschen gebetet wird, ist das beleidigende und diskrimminierende, sondern die religiöse und politische Botschaft, die mit dieser Bitte transportiert wird.

Thomas schreibt in seinem Blog:

Im Prinzip wird nur das konsequent verfolgt, was die katholische Kirche schon immer proklamierte und was auch ihre Lehre aussagt. Mag sein, dass der Dialog der Religionen wichtig ist. Und sicher, die katholische Kirche hat sich politisch nicht immer korrekt verhalten und sie sollte damit auch offener umgehen.

Aber: Man kann, bei aller Wichtigkeit des Dialogs und des guten Verhältnisses, nicht erwarten, dass wichtige Glaubensinhalte aufgegeben werden. Der jüdische Glaube erkennt Jesus nun mal nicht als Gottes Sohn an. Und natürlich war die Fürbitte nach dem 2. Vatikanum diplomatischer formuliert, aber im neuen Testament ist die Hoffnung enthalten, dass alle sich zu Jesus bekennen und erlöst werden.

Die jetzt verwendete Formulierung drückt eigentlich nur diese Hoffnung aus – alle sollen Jesus als Gottes Sohn erkennen.

Ja und nein. Der Papst drückt in der Wiederzulassung des alten Rituses und der Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte aus, was vor dem Konzil in der katholischen Kirche proklamiert wurde. Er dreht das Rad der theologischen Entwicklung innerhalb der Kirche zurück. Dabei erschreckt mich, dass es sich eben nicht um eine kleine, verquere Sekte handelt, die ein antijudaistisches Programm neu auflegt, sondern, dass das Kirchenoberhaupt der größten christlichen Kirche dies macht und damit den vielen Querköpfen eine Legitimation verschafft.

Prof. Heinz-Günther Schöttler schreibt in “Bibel und Liturgie, Heft 2/2008” (mir liegt ein Vorabmanuskript des Textes vor) von einer Fragestellung, in der “Es um die Identität der Kirche selbst geht”:

[…] Die Karfreitagsfürbitte für die Juden ist von weittragender hermeneutischer Relevanz. Bei ihr handelt es sich nicht um eine liturgische ‘Kleinigkeit’, sondern um eine zentrale theologische Äußerung der Kirche über sich selbst. Es geht hier um Wesentliches: nicht in erster Linie, weil die textliche Fassung der Fürbitte bis 1962 in ihrer jahrhundertelangen Wirkungsge-schichte nicht unbeträchtlich zur Judenverfolgung durch Christen und Kirche beigetragen hat; […] Es geht um Wesentliches, in-sofern die Kirche sich nur dann angemessen selbst versteht, wenn sie ihre Verbindung mit den Juden sieht, „dem Gottesvolk des von Gott nie gekündigten Alten Bundes“ (Papst Johannes Paul II.3; vgl. Röm 11,29), und wenn die Kirche diese Beziehung in angemessener Weise artikuliert. „Bei ihrer Besinnung auf das Geheimnis der Kirche gedenkt die Heilige Synode des Bandes, wodurch das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist“, so beginnt das 4. Kapitel von „Nostra aetate“. Johannes Paul II. hat diese ekklesiologische Bedeutung am 12. März 1979 in einer Ansprache an leitende Persönlichkeiten jüdischer Organisationen programmatisch so formuliert: „Das Konzil begriff also, dass unsere beiden Religionsgemeinschaften auf der Ebene ihrer je eigenen religiösen Identität eng und beziehungsvoll miteinander verbunden sind.“ Sich dieser inneren, mit der Beziehung zu keiner anderen Religion verwechselbaren Verbundenheit des Christentums mit dem Judentum zu erinnern und aus ihr zu leben, gehört zur Identität des Christentums selbst! Deshalb gilt das, was Johannes Paul II. am 6. März 1982 in einer Ansprache an Delegierte nationaler Bischofskonferenzen für die Beziehungen mit dem Judentum sagte, auch in Bezug auf die Neufassung der Karfreitagsfürbitte, „dass Ungenauigkeit und Mittelmäßigkeit dem jüdisch-christlichen Dialog außerordentlich schaden“, und ich füge hinzu: auch der Kirche selbst schaden, weil es um ihre Identität geht. […]

[…] Mit der Fürbitte von 1970/75 bekennt die Kirche, dass die Juden in der Treue zu Gottes Bund und in der Liebe zu seinem Namen leben, also bereits auf dem Weg des Heils sind. Deshalb bittet die Kirche darum, dass die Juden „zur Fülle der Erlösung [gelangen]“, was theologisch etwas grundsätzlich anderes ist als zu bitten, dass sie „Jesus Christus als den Heiland aller Menschen anerkennen“. Vom Glauben der Juden an Jesus Christus als Bedingung für ihr Heil spricht die Kirche in dieser Fürbitte nicht, weil sie darauf vertrauen darf, dass die Treue zu ihrem Gottesbund die Juden zum Heil führen wird. Die von Rom approbierte deutsche Übersetzung der Karfreitagsfürbitte von 1975 drückt diesen eigenständigen Heilsweg der Juden – neben der Kirche und nicht „per Christum“ – noch deutlicher aus, indem sie einen Satzteil, der über das lateinische Original von 1970 hinausgeht, am Schluss der Gebetseinla-dung anfügt: „… damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.“ Das „Nein“ der Juden zu Christus bzw. zum Christusdogma bedeutet weder Verstockung noch Unglaube, sondern im Gegenteil: Das „Nein“ der Juden bedeutet Treue zum Wort Gottes, zu Seiner Verheißung (vgl. Röm 9,4), wie Israel dieses Wort „hört“ und wie es seines Weges, der in Gottes Ratschluss und Heilsplan eingeborgen ist (vgl. Röm 11,33-36), geführt wird. […]

[…] Die neue Fürbitte offenbart eine Theologie ohne Erinnerung, ohne Erinnerung an die Schuld der Christen und der Kirche, von der im Schuldbekenntnis und in der Vergebungsbitte, die der damalige Papst, Johannes Paul II., am 1. Fastensonntag 2000 im Petersdom sprechen ließ, die Rede ist.18 Dieses Gebet ist übrigens formal ganz im Stile der Karfreitagsfürbitten ver-fasst! Wenn also der Papst eine Neuformulierung vornehmen wollte, dann wäre der einzig angemessene Grund dafür, in die ‘neue’ Karfreitagsfürbitte für die Juden diesen Aspekt der Schuld und eine Bitte um Vergebung aufzunehmen! […]

Dem habe ich erst einmal nicht viel mehr hinzuzufügen.

Ich empfehle noch einen Blick in meinen ersten Artikel dazu und in den TAZ-Artikel vom 19.3.2008

P.S. CHAG PURIM SAMEACH!!!