jüdische Politik

ich frage mich oft, ob und wie sich jüdisch-sein und politik im allgemeinen und ganz konkret in deutschland verbinden lassen, bzw. schon verbunden haben. was bedeutet es, sich als jude in einer partei zu engagieren. sollte man das überhaupt?

in der letzten woche war ich auf einem treffen der jüdischen sozialdemokraten. zum kennenlernen und zum verstehen lernen.

ich frage mich oft, ob und wie sich jüdisch-sein und politik im allgemeinen und ganz konkret in deutschland verbinden lassen, bzw. schon verbunden haben. was bedeutet es, sich als jude in einer partei zu engagieren. sollte man das überhaupt?

grundsätzlich, um das vorab deutlich zu sagen: ja, als jüdin / als jude kann man sich der gesellschaft nicht entziehen und ich denke, dass jeder einen beitrag leisten sollte. mein verständnis von (jüdischer) ethik besagt, dass wir juden die welt mitgestalten sollten, zum besseren – der begriff hierfür ist tikkun olam. die jüdische ethik und tradition hält ideen und konzepte bereit, die sich auf aktuelle politische fragen, gesellschaftliche probleme und diskussionen übertragen lassen und sie könnte eine bereicherung bei einer ernsthaften lösungssuche sein. von dafur bis zur gentechnik.

sollten wir dies aber explizit als juden tun? brauchen wir das label “jüdisch”, um unseren beitrag zu leisten, oder sollten wir dies nicht nur als menschen tun. natürlich lässt sich das nicht trennen, ich lege mein judentum ja nicht beim verlassen der synagoge ab, deswegen meine frage etwas konkreter:

wenn ich mich einmische, soll ich dann meinen beitrag damit beginnen: guten tag, ich bin der jude x und meine meinung zu diesem thema ist …? reicht es nicht: guten tag, ich bin x und meine meinung ist …

was erreiche ich mit dem bekenntnis zu meinem jüdisch-sein? mehr? weniger? um es zurück auf die jüdischen sozialdemokraten zu bringen? wenn sie menschenrechtsverletzungen im iran anprangere, bekommt es eine besondere bedeutung, dass sie es als juden tun? oder ist es nicht eine der grundlegenden aufgaben aller demokraten? – es ist ein argument, welches meine zustimmung findet, dass sie durch diese verbindung zum ausdruck bringe, dass uns juden der iran nicht nur in bezug auf die bedrohung für den staat israel interessiert, sondern darüber hinaus.

den beitrag der jüdischen sozialdemokraten kann ich damit als einen dienst für das ganze judentum betrachten. es verdeutlicht, dass juden sich für die gesellschaft engagieren. jedes jüdische engagement in einer der politischen parteien hat damit etwas grundsätzlich positives (der terminus technicus ist übrigens “kiddush haShem”), aber (es tut mir leid, ich bleibe noch ein wenig kritisch) besteht nicht die gefahr, dass wir uns verzetteln?

ich will es etwas konkreter machen:

der zentralrat wird regelmäßig kritisiert, dass er sich zu oft zu den unterschiedlichsten themen meldet und damit “sein pulver verschießt”. und weiter: “wenn es mal wirklich notwenig wird, wird man nicht mehr auf die jüdische stimme hören”.

wenn sich also “juden in der spd” für die menschenrechte von frauen, schwulen und christen im iran einsetzten, ist das zwar schön und wichtig, aber ganz ehrlich überflüssig. sie können dies auch ohne das label “jüdisch” und genauso gut. JEDOCH die spd daran zu erinnern, dass die wirtschaftsbeziehungen zu einem land, welches die existenz israels beenden möchte, für einen deutschen staat und eine sozialdemokratische regierung, nicht vereinbar sind – ist eine aufgabe, die vielleicht nur von einem jüdischen arbeitskreis so wahrgenommen werden kann. wahrscheinlich, weil es anderen weniger wichtig erscheint.

ich verstehe die angst, bei einem solchen politikschwerpunkt als “jüdische lobby” abgetan zu werden, aber das alte sprichwort: “schuster bleib bei deinen leisten” oder der bezug auf die pirke avot, dass man nicht alle probleme der welt lösen kann, zeigt in die richtung in die meine bedenken gehen. ist man sich bewusst, was man erreichen kann, und was nicht, mag es einen zunächst traurig stimmen, man bleibt aber realist: wir juden in deutschland sind zu wenig, als dass wir uns darauf verlassen könnten, dass wir immer und jederzeit wahrgenommen werden. ich denke, dass es daher gut und wichtig ist, dass wir uns “als juden” in erster linie für belange einsetzen, die in erster linie jüdische themen sind – als juden.

es entbindet uns nicht, uns für die gesamte gesellschaft einzusetzen, aufzuschreien, wenn menschen ermordet, diskrimminiert oder ausgegrenzt werden. und zwar ausschließlich, weil wir menschen sind – das lernen wir von unserem jüdisch sein. deswegen darf und soll man politisch sein, deswegen stehe ich einem partei-engagement nicht grundsätzlich negativ gegenüber (welcher partei ist dabei übrigens nebensächlich). deswegen finde ich es toll, dass sich jüdische menschen engagieren.