um es gleich vorweg zu nehmen, nein, ich sehe keinen zufall darin, dass purim und karfreitag in diesem jahr auf den selben tag fallen. es ist eher ein deutliches zeichen. während andere um “die erleuchtung unserer herzen” bitten, und damit im grunde für die aufgabe unserer religion, werden wir mit der feier des purim festes, durchaus mit einer gewissen portion stolz und vor allem fröhlichkeit, daran erinnern, dass es in der geschichte schon ganz andere versuche gab, juden und judentum zu einem teil der selbigen zu machen. mit dem blick auf purim und diesem wissen könnte man als jude also locker über die jüngsten spielchen des papstes zu der karfreitagsliturgie hinwegsehen.
und überhaupt: ob nun tridentinischen ritus, oder nach-konziliarisch oder irgendeine sonstige mischform – mir doch egal. es ist nicht meine religion, es gibt menschen, denen es zuspricht und die in diesem glauben einen weg zu G’tt gefunden haben (ich möchte an dieser stelle nicht diskutieren, ob es sich um den selben G’tt handelt). ich denke, dass ein respektvoller umgang miteinander auch schwierige passagen in der jeweils anderen liturgie aushalten muss. und natürlich ist mir auch klar, dass ein christ letztendlich daran glauben muss, dass sein weg der einzig richtige ist und enstprechend er dies auch ausdrücken können sollte.
nicht zu vergessen: auch in der jüdischen liturgie gibt es passagen, die einen gewissen alleinvertretungsanspruch propagieren (aleijnu), auch wenn man grundsätzlich festhalten muss, dass “erlösung” allen gerechten der welt zusteht und damit das heilsversprechen nicht ein exklusives ist – daher gibt es auch keine mission von nicht-juden im judentum.
aber
respekt vor dem anderen bedeutet nicht, dass man alles ertragen muss und dass man schweigend mit ansehen sollte, wenn der dialogpartner vom gemeinsamen weg mit,- bzw. nebeneinander ausschert und zum angriff übergeht. und im grunde ist für mich die wiederzulassung der vorkonziliarischen liturgie nichts anderes, um es ganz klar zu sagen.
bis zum zweiten vatikanischen konzil, galt (meines wissens) in der katholischen kirche nur der tridentinische ritus als einzig legitime form die messe zu feiern. in der karfreitagsliturgie (alte und neue form) gibt es eine “große fürbitte”, die uns juden gewidmet ist und von 1570-1962 wie folgt lautete (alle texte in der übersetzung von prof. schoettler, regensburg):
Für die Bekehrung der Juden
Lasset uns auch beten
für die treulosen / ungläubigen (ab 1962 gestrichen) Juden [perfifis Iudaeis],
dass Gott, unser Herr,
wegnehme den Schleier von ihren Herzen,
auf dass auch sie erkennen
unseren Herren Jesus Christus.[… keine Kniebeuge …]
Allmächtiger ewiger Gott,
der du sogar die jüdische Treulosigkeit / den jüdischen Unglauben [judaicum perfidiam] (ab 1962: der du sogar die Juden)
von deiner Erbarmung nicht ausschließt,
erhöre unser Flehen,
das wir ob jenes Volkes Verblendung
dir darbringen:
auf dass es das Licht deiner Wahrheit,
welche Christus ist, erkenne
und seinen Finsternissen entrissen werde.Durch Christus unseren Herrn. Amen
in dieser form war sie über jahrhunderte hinweg auslöser zahlreicher pogrome gegen juden und weckt – zu recht – schlechte erinnerungen im kollektiven jüdischen gedächtnis. es ist schon sehr verwunderlich, dass dieses wissen, welches sicher auch in den archiven des vatikans eingang gefunden hat, nicht zu rate gezogen wurde.
1970 folgte als ergebnis auf das konzil und der erklärung “nostra aetate” eine komplett revidierte fassung der fürbitte, die die neue haltung der katholischen kirche gegenüber dem judentum wiedergab und neben dem exklusiven christlichen heilsplan den eigenen weg des jüdischen glaubens anerkannte. der text, der auch heute so noch gültig ist lautet:
[keine überschrift]
Lasset uns auch beten für die Juden,
auf dass der Herr, unser Gott,
ihnen, zu denen er zuerst gesprochen hat,
schenke, in der Liebe zu seinem Namen
und in der Treue zu seinem Bund
voranzuschreiten.[Beiget die Knie. Erhebet euch.]
Allmächtiger, ewiger Gott,
du hast Abraham und seinen Nachkommen
deine Verheißung gegeben.
Erhöre gnädig das Gebet deiner Kirche,
dass das Volk der ersten Erwerbung
zur Fülle der Erlösung gelangen möge.Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen
(Erlösung = redemptio wird in der katholischen liturgie immer groß geschrieben, wenn von erlösung durch jesus gesprochen wird. in dieser passage ist es (bewusst ?) klein geschrieben.)
das deutsche messbuch von 1975 folgt dem lateinischen vorbild weitestgehend, formulierte nur den ersten teil gering anders:
Lasset uns auch beten für die Juden,
zu denen Gott, unser Herr,
zuerst gesprochen hat:
Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund
und in der Liebe zu seinem Namen,
damit sie das Ziel erreichen,
zu dem sein Ratschluss sie führen will.
…
im letzten jahr entschied nun ein – sagen wir es mal höflich – konservativer, betagter bayer in rom, dem man in der katholischen kirche zuschreibt, eine gewisse g’ttliche autorität zu besitzen, namens joseph alois ratzinger, den ritus von vor 1962 wieder zuzulassen. die einzige bedingung lautet, wenn mindestens 25 mitglieder einer pfarrei dies wünschen, muss dafür sorge getragen werden, dass diese in den genuss einer solchen alt-liturgischen messe kommen das wars. wer oder was ratzinger da in diesem moment geritten hat, weiß ich nicht, aber ich halte ihm zunächst zu gute, dass er wahrscheinlich nicht an die konsequenzen gedacht hat, nämlich dass damit auch die mittelalterliche bitte für die treulosen und verblendeten juden wieder zu kraft und würde käme.
der jüdischen wie auch nichtjüdischen presse, vor allem in deutschland, konnte man regelrechte aufschreie entnehmen. wenn man zu dem stichwort googelt findet man teilweise recht eindrucksvolle stellungnahmen, aber nichts bewog den alten herrn im vatikan, seine wiederzulassung der alten liturgie an eine weitere bedingung zu knüpfen, nämlich die fürbitte von 1970 zwingend zu verwenden. stattdessen schoss er mit der nachfolgenden formulierung, sämtlichen katholiken, die für ein respektvolles miteinander eintreten, direkt ins knie und machte sie zu lahmenden enten:
Für die Juden
Lasset uns beten
für die Juden,
dass unser Gott und Herr
ihre Herzen erleuchte,
damit sie erkennen Jesus Christus
als den Heiland aller Menschen.[Beuget die Knie. Erhebet Euch]
Allmächtiger ewiger Gott,
der Du willst,
dass alle Menschen gerettet werden
und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen,
gewähre gnädig,
dass, wenn die Fülle der Völker in Deine
Kirche eintritt,
ganz Israel gerettet wird.Durch Christus, unseren Herrn. Amen
auch wenn ratzinger, der diese fürbitte wohl selbst formuliert hat (kardinal kasper war nciht beteiligt), hier gegenüber der mittelalterlichen fassung ein bisschen politisch korrekter formuliert hat, inhaltlich gibt es keine unterschiede. juden tragen noch den schleier der blindheit und müssen erettet werden – ein direkter aufruf zu pogromen ist es nicht mehr, aber mission ist wieder das programm. immerhin gibt es eine gnadenfrist, erst müssen alle anderen völker ran.
nach schätzung meiner dialogpartner werden 99,x % der katholischen gemeinden in diesem jahr die karfreitagsmesse nach dem neuen ritus, also dem von 1970 feiern, aber es beruhigt mich nur zum teil. immerhin gibt es einen anteil x und es wird sicher in den kommenden jahren wieder mehr priester geben, die den alten ritus erlehrnen und damit auch wieder durchführen können und es gibt bereits die ersten bistümer in den usa, die zwar nach dem neuen ritus die messe feiern, aber die 2008 version der fürbitte übernehmen wollen (trotz des verbotes, die riten zu mischen). es ist zu befürchten, dass dies schule machen könnte …
und welchen schluss kann man nun daraus ziehen? sollen wir juden den dialog nun abbrechen, nachdem unser partner zurück zu “guten alten zeiten” möchte? ich für meinen teil denke nein. auch wenn es schwer fällt, aber jemanden der fällt, soll man nicht noch zusätzlich ein bein stellen. es ist nicht an uns juden, der katholischen kirche tipps im umgang mit ihrem papst zu geben, aber wir können denen partner bleiben, die dies wollen und sie in ihrem bemühen, eine moderne, offene kirche zu gestalten, unterstützen. ich bin davon überzeugt, dass auch in der katholischen kirche die letztgenannten in der mehrheit sind und wir mit einem abbruch des dialoges sie nur schwächen würden. das problem ratzinger wird sich von selbst lösen, sein propagierter neuer antijudaismus nur, wenn wir nicht wegschauen.
neuere Gedanken zu diesem Thema hier
siehe auch: Focus Artikel
Günter Ginzel im Interview (Domradio vom 6.2.08)